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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0314
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Grundsätze des Philosophierens

3ii
greifen. Diese Hingabe gilt zuletzt Gott allein. Der Mensch hat als einzelner in der Welt
die Aufgabe, er selbst zu werden. Sein Dasein gibt er hin für Aufgaben in der Welt, er
kann sterben für endliche Zwecke der Daseinsordnung. Aber er selbst bleibt frei allem
Weltsein gegenüber, auch der gesamten Weltordnung gegenüber. Als er selbst ist er,
frei von aller Welt, allein Gott hingegeben.
Die Idee der Weltordnung steht unter der Bedingung, dem Menschen - jedem Ein-
zelnen - Raum zu schaffen, im Umgreifenden er selbst zu werden durch die Hingabe an
Gott; diese Hingabe kann dann unübersehbar in der Welt zur Erscheinung kommen.
Die Idee der Weltordnung darf daher sinnvoller Weise nicht Selbstzweck werden. Sie
wird von Menschen hervorgebracht auf ihrem Wege zu Gott, als menschlich hervorge-
brachte Daseinsordnung dient sie den anderen Weisen des Umgreifenden. Sie ermög-
licht dem Menschen die unablässige Erweiterung seines Lebens in allen Weisen des Um-
greifenden, die zusammengehalten sind in dem Umgreifenden der Transcendenz.
Die Idee des Endziels in der Welt - der Weltordnung - ist also nicht das Endziel des
Menschen schlechthin. Darin liegt zugleich Verzicht und Energie. Verzicht ist es, an
etwas zu arbeiten, das unvollendbar ist und in seinem Wesen untergeordnet bleibt in
der Rangordnung der Seinsstufen. Energie ist es, im Blick auf Transcendenz in der Welt
an dem zu arbeiten, was das Offenbarwerden der Transcendenz in grösster Fülle zwar
nicht hervorbringt, aber ermöglicht. Nur der Mensch, der an Gott glaubt, gewinnt die
Unbeirrbarkeit im Illusionslosen. Wer glaubenslos in der Welt die Glücksvollendung
erstrebt, verfällt irgendwann3 in Nihilismus und Cynismus, nämlich dann, wenn er
die Brüchigkeit aller Realitätb durchschaut und, da er sie vergötzt hatte, äusser ihr nur
das Nichts sieht.
Der Verzicht macht stark in der Beschränkung. Die äussere Bedingung des Mensch-
seins, nicht seine innere Erfüllung ist die Aufgabe der Staats- und Weltordnung. Die
Möglichkeit des Menschen als Einzelnen ist mehr[,] als was im Ganzen möglich ist.
Gipfel sind die Einzelnen, nicht die Ordnung aller, welche diese Einzelnen trägt, in-
dem sie als Dasein ihr dienen und sich ihr hingeben. Ist die Staatsvergötterung verwor-
fen, so bleibt erstens die Teilnahme aller an der Ordnung der Zustände durch eigene
Mitverantwortung und bleiben zweitens die gesonderten Berufe, dieser Ordnung zu
dienen, als Beamter, als politischer Führer, als Gesetzgeber. Die Würde dieser Berufe
und die Höhe der Aufgabe liegt darin, dass hier die Voraussetzung von allem, was der
Mensch sein kann, geschaffen wird. Die Schlichtheit dieser Arbeit mag durch falschen
Glanz, Privilegien, religiöse und autoritative Repraesentation oft genug verdorben
sein. Ihre Grösse kann im Charakter der in diesem Beruf wirksam Tätigen sichtbar wer-
den: in der Weite des Anschauens, der Bescheidung im Dienst, der Verlässlichkeit des

a nach irgendwann im Ms. gestr. in Verzweiflung,
b Realität im Ms. hs. Vdg. für Wirklichkeit
 
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