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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0345
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Grundsätze des Philosophierens

tigen vermöge deren Gewalt geplant und durchgesetzt, die anderen erfahren nur den
Befehl, werden, sofern mit ihnen gesprochen wird, überredet, oder erleiden die Ord-
nungen, ohne davon zu wissen, dass andere und wie sie sie machen und was sie damit
meinen und bezwecken - die Macht ist bei Einem; oder die Ordnungen werden in ge-
meinsamer Diskussion gefunden, man wird überzeugt von ihrer Richtigkeit und ver-
wirklicht sie im Sichverständigen - die Macht liegt im Beschluss der ihr Einverständnis
gewinnenden Gemeinschaft.
i. Was die Einrichtungen treffen: Man hat in der Gemeinschaft unterschieden den
Staat und die Gesellschaft. Der Staat ist die Form des einheitlichen Willens einer sich
selbst behauptenden, sich souverän setzenden Gemeinschaft. Gesellschaft ist das Le-
ben der mannigfaltigen concurrierenden Interessen besonderer Arbeitsgebiete und Be-
rufe, durch Eigentum und durch Bildung unterschiedener Schichten, der in Familien
und Ständen gegliederten Ordnung. Staat und Gesellschaft sind untrennbare Pole. Der
Staat lebt von der Ordnung der Gesellschaft und greift in sie ein, die Interessen aus der
Gesellschaft suchen sich einzeln des Staats zu ihren Gunsten zu bemächtigen.
Einrichtungen treffen den Staat oder die Gesellschaft. Auf den Staat gerichtet, ma-
chen sie die Verfassung, die Methoden der einheitlichen Willensbildung und das Zu-
standekommen der Gesetze. Auf die Gesellschaft gerichtet, ordnen sie die Arbeit, die
Wirtschaft, den Besitz an Gütern. Da der Staat dem Dasein dient, sind seine Einrich-
tungen nicht nur bedingt durch die gesellschaftlichen Zustände, welche ihrerseits in
Arbeitsweise und Güterverteilung begründet sind, sondern sie haben die Ordnung der
Gesellschaft zum Ziel.
Nur so lange das Weltreich nicht verwirklicht und die Selbstbehauptung von Staa-
ten gegeneinander notwendig ist, ist auch in der wirtschaftlichen Ordnung der
Hauptzweck, unter dessen Bedingung alles andere gestellt wird, die möglichst kraftvolle
Machtorganisation. Auch hier raubt der Zwang zur Selbstbehauptung eines Staates un-
ter anderen die Freiheit in dem Maasse, als diese Selbstbehauptung die vordringliche
Aufgabe ist. Nur wenn solche Selbstbehauptung wegfiele, könnten die gesellschaftli-
chen Einrichtungen rein nach dem Ziele der Förderung aller Möglichkeiten des Mensch-
seins geschaffen werden.
Den Boden des Daseins müssen Menschen alltäglich durch Arbeit gewinnen. Wie
und was gearbeitet wird und wie daraus Besitz wird und wie die erworbenen Güter das
weitere Dasein gestalten, das bestimmt unser gesamtes Leben. Die Lebensformen der
Einzelnen erwachsen durch die Art ihrer Arbeit. Der Besitz der Güter bringt die Möglich-
keiten der Musse für das Leben des Geistes. Die Zustände, welche der Weise der Güter-
verteilung und der Besitzverschiedenheiten entspringen, erzwingen Abhängigkeitsver-
hältnisse. Diese Verhältnisse werden zum Zweck der Macht und Herrschaft benutzt. Dies
alles ist miteinander verknüpft, zunächst in unbemerkten Entwicklungen, dann, vor al-
lem in den letzten beiden Jahrhunderten, in bewusster Erkenntnis, in Eingriffen und in
 
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