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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0344
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Grundsätze des Philosophierens

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ruinös, wenn derselbe Mensch zum Teil völlig herrschend, zum Teil völlig abhängig an-
deren gegenübersteht (nach unten treten, nach oben sich bücken).
bb. Einrichtungen
Der Mensch greift aus bewusstem Willen in die Welt auf dreifache Weise ein: in das rein
Äussere, um die Materie der Natur für seine Zwecke zu gestalten, - in sein je eigenes In-
nere, um den Ablauf seines Seelen- und Leibesleben[s] zu formen, - in die Welt, welche
als Gemeinschaft der Menschen hervorgebracht wird, um sich darin die Chancen sei-
ner Verwirklichung zu schaffen und um diese Welt nach seinen Zielen zu führen.
Die Gemeinschaft erwächst aus Communikation. Menschen verstehen sich in ge-
meinsamen Zwecken, verabreden sich, handeln und arbeiten zusammen. Aber blosse
Communication kann das gemeinschaftliche Leben nicht tragen. Man käme nicht
von der Stelle, wenn man bei der Verwirklichung jeden Tag von vorn anfangen, bera-
ten und aus jeweils frischer Verständigung alles von Grund auf bewusst tun wollte.
Vielmehr ist durch die Einrichtungen (Sitten, Gesetze, Arbeitsteilung, Über- und Un-
terordnung, Verfassungen, Organisationen, Stände, Ämter usw.) eine breite Basis des
Lebens zu schaffen, die nicht jederzeit bewusst gemacht zu werden braucht. Es ist im
gemeinschaftlichen Leben wie mit leiblichen Funktionen, die als unbewusst gewor-
dene Ergebnisse bewusster Einübungen stattfinden können. Insofern ist Communica-
tion ein Weg zu neuen Einrichtungen. Diese haben aber den Charakter, jederzeit in
ihrem Sinn und Zweck bewusst gemacht und geprüft werden zu können. Jederzeit sind
also Einrichtungen notwendig. Der Staat muss eine Staatsmaschinerie hervorbringen,
um funktionieren zu können. Die Gesellschaft bedarf der Ordnungen, in denen die
Berufe, die Beziehungen der Menschen geregelt sind. In dem Raume von Ordnungen,
die insgesamt auf Grund früherer Verständigungen das Leben schon führen, wird je-
weils für das Besondere und Neue die Verständigung zu finden sein.
Die Ordnungen sind von zweierlei Art: unbewusst wirklich gewordene Regeln des
Tuns und bewusste Einrichtungen. Staat und Gesellschaft leben stets auch aus Regeln,
die niemand eingerichtet hat; und die Einrichtungen selber in ihrer Nacheinander-
folge stehen unter Regeln, von denen bei ihrer Herstellung niemand weiss; diese Re-
geln werden durch Wissenschaft erst spät und nur zum Teil entdeckt. Bewusste Ein-
richtungen können nur auf jenen bewusstlos entstandenen Ordnungen aufbauen und
sie nutzen, sie in Bahnen lenken, beschränken, erweitern.
Immer sind die bewussten Ordnungen und Einrichtungen eine Arbeit der Men-
schen in der Gemeinschaft an sich selber. Diese Arbeit gelingt nur aus einer Macht, wel-
che imstande ist, sie der Gesamtheit aufzuzwingen. Alle Ordnungen und Einrichtun-
gen haben zuletzt im staatlichen Willen ihren Ursprung oder finden in ihm ihre
Bestätigung. Die bewussten Ordnungen geschehen daher durch die Art dieser staatli-
chen Willensbildung. In den äussersten Polen: sie werden entweder einseitig von Mäch-
 
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