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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0349
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Grundsätze des Philosophierens

wurden), sondern auch der führende Mensch steht als Mensch unter Menschen, mit
denen er sich verstehen muss, um mit ihnen solidarisch am Hervorbringen des ge-
meinsamen Ganzen zu arbeiten. Nicht die einfache Herstellung eines Zustandes durch
technische Einrichtungen unter Benutzung psychologischer Mechanismen nach ei-
nem Gesamtplan kann Erfolg haben, sondern nur die mit dem Verwandeln der Zu-
stände einher gehende Verwandlung des Menschen. Diese Verwandlung aber ge-
schieht wesentlich allein in Selbsterziehung und Communication, in der Arbeit des
Miteinanderwerdens ohne vorausgewussten Plan, vielmehr umgriffen von einem hilf-
reich entgegenkommenden Dunkel, das mit dieser Arbeit ins Unendliche erhellt wird.
Im Umgang mit Menschen bleibt der Unterschied zu allem Umgang mit der Mate-
rie. Das, worauf vom übermächtigen Menschen gewirkt wird, sind doch die Antriebe
und Willenshandlungen, die Bedürfnisse und Zwecke von Menschen. Es ist daher sei-
tens des Mächtigen stets eine gegenüber aller Natur radikal andere Beziehung zu dem,
worauf er wirkt. Zwar gibt es auch mit der blossen Natur einen liebenden Umgang, ein
Verhalten zum Lebendigen, als ob es antworte und man sich mit ihm verständige. Aber
dies einfühlende und hinhorchende Verhalten, das auch dem Menschen, sich selbst
und den anderen gegenüber, sofern wir Natur sind, notwendig bleibt, wird doch allein
zwischen Mensch und Mensch überbaut durch die Möglichkeit realer Verständigung
in Gegenseitigkeit aus gemeinsamen Gehalten. Der Mensch ist nie nur MateriaL Wo
er als solches behandelt wird, ist sein Wesen verletzt. Kant formulierte die Forderung,
den Menschen nie nur als Mittel, sondern immer zugleich auch als Selbstzweck anzu-
sehen.251 Daher müssen alle Einrichtungen in der Idee derart gemeint sein, dass die
durch sie lebenden Menschen sie und sich in ihnen verstehen. Insofern sind Einrich-
tungen eine Weise der Verwirklichung der Communication.
Die menschlichen Ordnungen bedürfen der Geltung für das Bewusstsein. Sie be-
dürfen der Bejahung und des Einsatzes derer, die ihnen folgen. Daher fordert die Idee
die Erziehung zur Aneignung der überlieferten Ordnung in der Folge der Generatio-
nen; sie fordert weiter eine maximale Teilnahme des Wissens aller an dem, was ist und
geschieht. Die Einrichtungen sind zu begreifen und zu übernehmen von denen, die
durch sie leben.
Weiter aber sind sie mit der ständigen Verwandlung der Lebensverhältnisse ihrer-
seits zu verwandeln. Das Nachdenken über die Einrichtungen, ihr Planen und ihre Ver-
wirklichung sind Sache gemeinschaftlichen Tuns. Wie dieses vor sich geht, macht den
Grundcharakter eines jeweiligen Zustands aus. Dieser Grundcharakter entscheidet, ob
etwas in den Zuständen anders werden und wie es geschehen kann, ob eine träge Dauer
halbgeordneter Zustände bleibt, ob richtungslose Schwankungen und Unordnungen
auftreten und beliebig wiederkehren, oder ob eine Richtung auf methodisches Besser-
werden der Ordnungen möglich ist.
 
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