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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0374
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Grundsätze des Philosophierens

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die Notwendigkeit des Sichgeschenktwerdens im Können, Glauben, in der Ergriffen-
heit von Ideen und dem Entschluss der Existenz. Überwältigt der äussere Widerstand
und bleibt das innere Sichgeschenktwerden aus, so erwächst Ratlosigkeit und in deren
Steigerung entweder das brütende Nichts oder die Verzweiflung. Der Verstand muss
unter Führung des Umgreifenden stehen, wenn der Mensch sich nicht in der Ratlosig-
keit durch den auf sich gestellten Verstand verlieren soh. Die eigene Kraft muss unter
Führung der Transcendenz stehen, wenn sie sich nicht in ihrer Ohnmacht verlieren
soll.
Hier macht sich der Anspruch fühlbar von etwas, das anerkannt werden will. Wenn
in der Härte eines Realismus nichts mehr verschleiert wurde, bis dahin geltende Illu-
sionen aufgehoben wurden, so kann in der so entstehenden Ratlosigkeit in der Tat ein
erster Boden gewonnen werden.
Dieser Boden ist ein Sein, das unbedingten Anspruch erhebt. Diesen Anspruch nen-
nen wir Autorität. Der Anspruch wird fühlbar als ein nicht zureichend begründetes
Sollen aus einem unergründlichen Gehalt.
Wenn das, was Grenze war, als Anspruch erfahren wird, so ist in der Autorität nicht
mehr nur dunkle Grenze, sondern hellwerdender Ursprung. Wer dem Anspruch folgt,
erfährt die Erhellbarkeit der Autorität als eines Soseins und Soseinsollens. Diese Erhel-
lung der Autorität wird um so klarer, je klarer der Gegenpol wirkt, das heisst je heller
Plan und Entwurf in der Arbeit des freien Wollens sich gestalten.
Hellwerden geschieht für uns nur in der Subjekt-Objekt-Spaltung. Das Anerkennen
der Autorität kann daher auch nur in der Subjekt-Objekt-Spaltung sich vollziehen: Es
wird ein Objektives ergriffen, das Bestand hat, von einem Subjektiven, das für es offen
ist. Das Umgreifende der Autorität ist zugleich im Objektiven, das sich mir zeigt, wie
im Subjektiven, durch das ich es ergreife. Der Angst, der Ehrfurcht, dem Glauben und
dem Vertrauen des Subjekts wird Autorität objektiv offenbar. Folge ich ihr, so zeigt sich
der Gehalt der Autorität im Hellwerden durch bestimmte Inhalte, Gesetze, Bilder. Erst
in dem Hellwerden solcher Erscheinung wird uns aus der Ratlosigkeit wirbelnden
Nichts eine mögliche Gewissheit.
Aber die Autorität ist in jeder bestimmten Erscheinung nicht eine für immer und
für alle gütige absolute. Die Unbedingtheit und Unüberschreitbarkeit der Autorität
kommt doch nur in der Gestalt geschichtlich sich wandelnder Inhalte zur Erschei-
nung. Die Spaltung des Umgreifenden in Subjekt und Objekt tritt in einen zeitlichen
Process des Offenbarwerdens ein durch jeweils bestimmte Gestalten und ihre Durch-
brüche zu neuer Gestaltung.
Der Gang der menschlichen Dinge kann im Ganzen nicht geplant und nicht ge-
wollt werden. Was wir tun, ist gegründet im Nichts oder in Autorität. Alles Wollen setzt
voraus, woraus gewollt wird. Es ist im Ursprung unseres eigenen Tuns das, was wir Au-
torität nennen.
 
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