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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0386
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Grundsätze des Philosophierens

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Wird in solchen Zuständen argumentiert - was sinnwidrig ist, da das Geheimnis
sich der Argumentation entzieht so lässt sich aus dem Mysterium der Autorität je-
der Unfug begründen, jede beliebige Gewalt legitimieren. Die im vernünftigen Den-
ken gütigen Kategorien werden benutzt, um das Unvernünftige zu begründen, die Frei-
heit, um die Freiheit zu verneinen. Die Berufung auf Autorität, wo immer sie stattfindet,
ist von höchster Verantwortung. Diese Berufung zu missbrauchen, zerstört auch die
wahre Autorität.
bb. Gesetz: Wo durch Verständigung ein Leben nach Gesetzen sich verwirklicht,
gilt Autorität nur, wenn sie gesetzlich spricht. Der Gehorchende anerkennt eine zu-
gleich von ihm kontrollierte, beeinflusste, bestätigte Autorität. Die Führung ist ge-
wählt, zur Verantwortung zu ziehen, absetzbar. Es herrscht grundsätzlich für alles der
Gemeinschaft Relevante die Publicität, eine öffentliche Diskussion, eine Information
aller und ihre durch Erziehung und gegenwärtige Teilnahme am Geschehen ermög-
lichte Urteilsfähigkeit. Die Kontrolle ermöglicht Korrekturen durch Wahlen, durch
Parlamente und deren Kommissionen. Gegen illegale Gewalt herrscht - wenn sie von
unten kommt - die Polizei oder - wenn sie von oben kommt - das Recht des Aufstands
zur Wiederherstellung der Gesetzlichkeit. Das Absolute sind die legalen Formen der
Herrschaft, die Gesetze und das gesetzliche Zustandekommen der Gesetze. Für das ge-
meinschaftliche Leben gilt als Recht nur, was in diesen Formen objektiv geworden und
anerkannt ist. Niemand darf auf Grund eines von ihm in Anspruch genommenen na-
türlichen oder wirklichen Rechtes handeln, wenn es den Gesetzen, welche durch die
Form gelten, widerspricht. Das Unrecht kann nur auf dem gesetzlichen Wege über Ver-
besserung der Gesetze aufgehoben werden, nicht unmittelbar durch die Überzeugung
Einzelner oder einzelner Gruppen. Auch das schlechte, ja unrechte Gesetz gilt, solange
es nicht gesetzlich aufgehoben ist. Das Gesetz als solches hat eine Autorität, einen
Glanz, den man unzureichend interpretiert, wenn man sagt, ohne das Grundgesetz
der Gesetzlichkeit gebe es keine Sicherheit im Staatsleben. Sokrates hat im Kriton die
Heiligkeit der Gesetze tiefsinnig gedeutet.265 Es gilt nach der Formulierung Mösers
(4,110 ff.) [,] »dass dasjenige, was ein Mensch für Recht oder Wahrheit erkennt, nie eher
als Recht gelten solle, bevor es nicht das Siegel der Form erhalten.«266
Voraussetzung für die Möglichkeit dieses zweiten Zustandes einer kontrollierten Au-
torität, der der seltenere ist in der Masse von Despotismen, die die Weltgeschichte er-
füllt, ista erstens die geistig-existentielle Haltung einer Menschengruppe: ihr Masshal-
ten und ihr Verständigungswille, ihr Verzichtenkönnen, ihr Sichaussetzen an Frage,
Kritik und Diskussion; dieses Verhalten hat seine Wurzel im Glauben an die Gesetzlich-
keit, und in einer Unbedingtheit, welche an die Verständigungsmöglichkeit als Grund-
charakter des Menschseins glaubt (im Unterschied von dem Glauben an irgendeine Ge-

ist im Ms. versehentlich gestr.
 
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