Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0387
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
384

Grundsätze des Philosophierens

stalt des Gott-Heiland-Herrschers). Zweitens ist eine Voraussetzung des Zustandes der
Verständigung, dass eine Gewalt besteht und zuverlässig operiert gegen die Gewalt de-
rer, die den Herrschaftsabsolutismus (Tyrannis) in irgendeiner Gestalt wieder einfüh-
ren wollen, gegen alle die, welche sich von der Verständigung ausschliessen, gegen die
Verbrecher. Ohne eine bleibende Gewalt, d.h. ohne wirksame Polizei geschieht keine
Verständigung aller. Denn immer bleibt der Machtwille, welcher zur Despotie führt, in
Sprungbereitschaft; es ist eine Leidenschaft im Menschen, die dahin drängt, und zu-
gleich ein anderes, eine bequeme moralisierende Passivität, welche hineintaumeln
lässt, wenn die Wachsamkeit, die aus noch frischer Erfahrung von Despotie lebt, ein-
geschlafen ist. Immer bleibt das Entarten des Machtwillens einzelner und bleibt eine
zu jedem Zustand gehörende Corruption. Es kommt nur darauf an, dass gegen beides
eine gesetzlich kontrollierte Polizeigewalt wirkt, und dass die Richtung zum Besseren
in der unablässigen Verständigung eingehalten wird (statt der Richtung einer Steige-
rung des Extrems der Macht, oder statt der Richtungslosigkeit kreisender despotischer
Zustände).
Die Richtung der Freiheit verwandelt die Autorität durch Gesetze in freie Versteh-
barkeit. Die Autorität bleibt einerseits ohne Zwangsgewalt als geistige in der Überzeu-
gung von der Wahrheit der Gesetze. Sie bleibt andererseits mit Zwangsgewalt, aber ge-
setzlich begrenzt und controlliert. Alles Geheimnisvolle der Gewalt soll erhellt werden.
Was am Ende als Geheimnis der Gewalt in den Entschlüssen der Menschen, welche
die Gesetze bestimmen, bleibt, wird anerkannt im Sichbeugen unter sie, aber nicht in
blindem Gehorsam, sondern in ständigem Befragen.
cc. Führende Menschen: Keine Gemeinschaft von Menschen kann ohne Formen
einer persönlichen Führung leben. Dafür gibt es zahllose Beispiele: Der Befehlende für
bestimmte Zwecke gemeinsamer Unternehmung, z.B. von Deich-, Kanal-, Pyramiden-
bauten, von militärischen Aktionen; der Amtsinhaber für die Verwaltung nach gege-
benen Regeln; das Vorbild, an dessen Maass das eigene Leben geformt wird; der Leh-
rer, der Kenntnisse und Können überliefert; der Fachmann, der mir leistet, was ich
nicht kann, und dessen Anordnungen ich für die Erreichung meines Zwecks folgen
muss. Diese Unerlässlichkeit mannigfacher Führungsformen wird zu einem Ort der
Erscheinung der Autorität.
Es ist zu unterscheiden die Realität des führenden Menschen, die Weise [,] wie er
anerkannt wird, der Anspruch [,] den er erhebt. Tatbestand ist, dass immer führende
Menschen da sind und da sein müssen, mögen sie im Einzelfall tauglich sein oder
nicht. Sie werden anerkannt nicht allein wegen ihrer rational fasslichen Leistung, son-
dern man bringt ihnen Achtung entgegen, kann zu ihnen Vertrauen haben, sie lieben,
ihnen Ehrfurcht zollen; man kann sich ihrer suggestiven Wirkung unterwerfen. Der
führende Mensch kann Autorität besitzen, ohne sie zu wollen und ohne auf ihr zu be-
stehen [,] oder er kann sie für sich beanspruchen; er kann die Autorität eines anderen,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften