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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0394
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Grundsätze des Philosophierens

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Was in der Autorität ergriffen wird, ist ein Ewiges, Sichgleichbleibendes, aber in der
ständigen Verwandlung seiner objektiven Erscheinung in der Zeit.
Glaube an Autorität ist daher Hingabe in solchen objektiven Fixierungen und un-
umgänglicher Durchbruch durch solche Fixierungen. Im rational Fixierten erlischt
das heben der Autorität. Daher wird festgewordene Autorität verworfen aus ursprüng-
licher Autorität.
Es ist das Bild höchster Reife des Menschen, der alle Autorität des geschichtlichen
Grundes in sich aufgenommen hat und frei aus ihr, umgriffen umgreifend, denken und
handeln kann. Doch solcher Vollendung ist der Mensch nicht fähig. Er bleibt als Einzel-
ner gebunden an das persönliche Gewissen, an das, was dem reinen Herzen offenbar
wird, damit aber an die Endlichkeit seines Daseins, in dem er geschichtliche Existenz in
verschwindender Erscheinung[,] nicht objektiv endgültige Wahrheit erreichen kann.
bb. Verwandlung der Autorität zu einem Moment der Daseinsordnung: Die Gestal-
tung der Gemeinschaft zu einem Leben selbstseiender Menschen ist untrennbar von
einer Gestaltung der Autorität. Diese verändert ihren Charakter, wenn die Leibhaftig-
keit der Transcendenz in der Welt vor dem klärenden Auge verschwunden ist. Wenn
dazu die Ernüchterung kommt, welche die Aufgabe der Politik auf das Dasein als sol-
ches beschränkt sieht, so scheint die Möglichkeit der Autorität völlig zu verschwin-
den. Ohne Autorität aber stürzt alle Daseinsordnung ins Leere. In der Bodenlosigkeit
entsteht Verwirrung und Anarchie der Gewaltsamkeiten. In der Tat kann Autorität ver-
borgen und wie verschwunden sein. Doch sie muss sich wieder zeigen. Auch in der Po-
litik kann Autorität nur dadurch sein, dass Daseinsaufgaben in das Umgreifende der
Transcendenz aufgenommen werden.
Das geschieht erstens durch den auf Transcendenz bezogenen Glauben der handeln-
den Menschen. Entschlossenheit kann in vitalen Energien, Ernst und Unbedingtheit
nur in transcendenter Bezogenheit ihren Grund haben. Reine Zweckmässigkeit und
Nützlichkeit hält nicht stand, wenn es zum Äussersten kommt. Die Grösse einer Lei-
stung kann einem führenden Menschen wohl Vertrauen und Bewunderung[,] ja Ver-
götzung zuführen, aber sein weiteres Tun kann dies mindern oder wieder aufheben. Das
war noch keine wirkliche Autorität. Autorität kann nie durch rein immanente Dinge,
weder psychologisch durch Gefühle, noch objektiv durch rechtfertigende Erfolge, be-
gründet, sozusagen legitimiert werden.
Die Aufnahme der Daseinsaufgaben in das Umgreifende der Transcendenz ge-
schieht zweitens durch die Erscheinungsweise objektiver Geltungen als Autorität. Die
Autorität ist nicht mehr Gegenwart der Transcendenz selber, aber ihre Sprache. Aus
dem blinden Umfangensein und gedankenlosen Gehorchen ist das Vertrauen gewor-
den zu relativen, sich noch verändernden und zu bessernden Einrichtungen der Ge-
meinschaft und ihrer Willensbildung. In diesem Vertrauen ist die Leibhaftigkeit einer
daseienden Autorität verschwunden zugunsten einer Autorität, die immer von neuem
 
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