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Grundsätze des Philosophierens
vermöge jener vertrauenerweckenden Regeln ihre Sprache gewinnt. Für den politi-
schen Menschen, der rein und wahrhaftig geworden ist, ist das Numinose, der Glaube
an dämonische Mächte, der Aberglauben an greifbare Prophezeiungen aus Sternen
und anderen immanenten, in der Tat beziehungslosen Befunden verschwunden, aber
er lebt in den Ideen, ist getragen von Existenz und darin auf Transcendenz bezogen,
ohne dass Existenz und Transcendenz im Staate einen Ort, eine Institution, eine Greif-
barkeit hätten. Sie sind alldurchdringend aus dem Leben des Menschseins, das sich
hier in der Sphäre der Daseinsordnung auswirkt. So bleibt nur eine abgeleitete Autori-
tät in Gesetzlichkeit, in Präcedenzfällen, in der Bindung an Normen und Regeln aus
der geschichtlichen Herkunft, und in der Grundhaltung der Scheu, nicht ohne Not zu
ändern oder zu verletzen, was in der Überlieferung gegeben ist. Wohl ist die Aufgabe,
zu bessern und auf das Bessere hin zu planen, aber nicht aus blossem Verstand, son-
dern aus dem geschichtlich Gegebenen3 heraus, das in dem Umgreifenden der Auto-
rität Sprache gewinnt. Der Mensch schafft nicht wie Gott eine Welt aus nichts, son-
dern er arbeitet in einer zu gestaltenden Welt aus dem gegebenen Grunde.
Wenn mit solcher Reinigung des politischen Tuns die absolute Autorität in die Ver-
borgenheit tritt und eine relative Autorität führt, so liegen Abgleitungen nahe: in Gott-
losigkeit wird eine Immanenz (ein Dasein in der Welt) als Ursprung, Ziel oder Mittel
politischen Handelns zugleich zum Absoluten schlechthin: z.B. das Volk als ein un-
greifbares, alle Willkür Einzelner, die sich darauf berufen, scheinbar rechtfertigendes
Volksempfinden, als volonte generale, die nicht volonte de tous sei und daher als das
Wahre von vereinzelten Erleuchteten oder von der Majorität für sich in Anspruch ge-
nommen wird.270
Es ist die den gesamten gesellschaftlichen und politischen Zustand tragende Wirk-
lichkeit, ob Autorität und wie sie und mit welchem Gehalt sie gegenwärtig ist, diese
Autorität, die sich nicht machen, sondern nur zeigen, nicht erdenken, sondern nur
erhellen lässt. Ohne Autorität sinkt alles in Zerstreutheit, Leere und Nichts. Durch leib-
haftige Autorität gleitet der Zustand unfehlbar in Despotie. Das Ringen aus der Auto-
rität um wahre Autorität begründet die Freiheit des Menschen.
i. Die Stimmung geltender Autorität
Es ist eine Grundstimmung eigentlichen Menschseins, Autoritäten folgen zu wollen,
Rat zu hören, zu verehren, sich zu binden und erst in den Bindungen den Weg der Frei-
heit zu finden. Eine gehaltvolle Welt ist durchdrungen von autoritativen Beziehungen.
Sie erst geben überall eine Verlässlichkeit im Zusammenhalten der Menschen und ih-
res Tuns, ohne Rechtsform und ohne Berechnung. Vernünftige Menschen begehren
von früh an in ihrem Leben nach Autorität, hören Autorität, schauen zu ihr auf mit Ver-
statt Gegebenen im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers Gegebenem
Grundsätze des Philosophierens
vermöge jener vertrauenerweckenden Regeln ihre Sprache gewinnt. Für den politi-
schen Menschen, der rein und wahrhaftig geworden ist, ist das Numinose, der Glaube
an dämonische Mächte, der Aberglauben an greifbare Prophezeiungen aus Sternen
und anderen immanenten, in der Tat beziehungslosen Befunden verschwunden, aber
er lebt in den Ideen, ist getragen von Existenz und darin auf Transcendenz bezogen,
ohne dass Existenz und Transcendenz im Staate einen Ort, eine Institution, eine Greif-
barkeit hätten. Sie sind alldurchdringend aus dem Leben des Menschseins, das sich
hier in der Sphäre der Daseinsordnung auswirkt. So bleibt nur eine abgeleitete Autori-
tät in Gesetzlichkeit, in Präcedenzfällen, in der Bindung an Normen und Regeln aus
der geschichtlichen Herkunft, und in der Grundhaltung der Scheu, nicht ohne Not zu
ändern oder zu verletzen, was in der Überlieferung gegeben ist. Wohl ist die Aufgabe,
zu bessern und auf das Bessere hin zu planen, aber nicht aus blossem Verstand, son-
dern aus dem geschichtlich Gegebenen3 heraus, das in dem Umgreifenden der Auto-
rität Sprache gewinnt. Der Mensch schafft nicht wie Gott eine Welt aus nichts, son-
dern er arbeitet in einer zu gestaltenden Welt aus dem gegebenen Grunde.
Wenn mit solcher Reinigung des politischen Tuns die absolute Autorität in die Ver-
borgenheit tritt und eine relative Autorität führt, so liegen Abgleitungen nahe: in Gott-
losigkeit wird eine Immanenz (ein Dasein in der Welt) als Ursprung, Ziel oder Mittel
politischen Handelns zugleich zum Absoluten schlechthin: z.B. das Volk als ein un-
greifbares, alle Willkür Einzelner, die sich darauf berufen, scheinbar rechtfertigendes
Volksempfinden, als volonte generale, die nicht volonte de tous sei und daher als das
Wahre von vereinzelten Erleuchteten oder von der Majorität für sich in Anspruch ge-
nommen wird.270
Es ist die den gesamten gesellschaftlichen und politischen Zustand tragende Wirk-
lichkeit, ob Autorität und wie sie und mit welchem Gehalt sie gegenwärtig ist, diese
Autorität, die sich nicht machen, sondern nur zeigen, nicht erdenken, sondern nur
erhellen lässt. Ohne Autorität sinkt alles in Zerstreutheit, Leere und Nichts. Durch leib-
haftige Autorität gleitet der Zustand unfehlbar in Despotie. Das Ringen aus der Auto-
rität um wahre Autorität begründet die Freiheit des Menschen.
i. Die Stimmung geltender Autorität
Es ist eine Grundstimmung eigentlichen Menschseins, Autoritäten folgen zu wollen,
Rat zu hören, zu verehren, sich zu binden und erst in den Bindungen den Weg der Frei-
heit zu finden. Eine gehaltvolle Welt ist durchdrungen von autoritativen Beziehungen.
Sie erst geben überall eine Verlässlichkeit im Zusammenhalten der Menschen und ih-
res Tuns, ohne Rechtsform und ohne Berechnung. Vernünftige Menschen begehren
von früh an in ihrem Leben nach Autorität, hören Autorität, schauen zu ihr auf mit Ver-
statt Gegebenen im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers Gegebenem