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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0398
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Grundsätze des Philosophierens

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antasten in ständiger Verwandelbarkeit. Da aber alle Wirkung ihren eigentlichen Wert
erst als Glied des Ganzen hat, nicht durch die Vordergründlichkeit der Effekte des Au-
genblicks, so wird die Scheu verstärkt durch die Führung des Handelns aus dem Maas-
stab des Endziels.
Die Scheu kann falsch werden durch Passivität, die garnicht mehr eingreift und lie-
ber alles, auch das Unerfreulichste und Verderbteste, beim Alten lässt, als die Gefahr
einer unvorausgesehenen Unordnung und Krise zu laufen, die beide jedoch infolge
dieser Passivität am Ende nur umso heftiger durchbrechen.
Die Scheu kann verloren gehen in der Verantwortungslosigkeit aus dem Machtwil-
len blosser Gegenwärtigkeit. Eine nihilistische Grundhaltung verwandelt alles als Mit-
tel in beliebiger Auswechselbarkeit für die Steigerung oder Bewahrung der eigenen
Macht, bis in der wachsenden Unwahrhaftigkeit des Zustands der Zusammenbruch
umso radikaler wie die Vernichtung in einer totalen Explosion erfolgt.
3) Das politische Handeln fordert unendliche Geduld. Politik ist im Ganzen eine
Arbeit, die ihr Ziel nie erreicht. Auf dem unabsehbaren Wege in dem unaufhaltsamen
Anderswerden der Dinge muss jedes erreichte Ziel sogleich als ein nur einzelnes und
vorläufiges, als ein blosser Schritt erkannt werden. Es geht weiter.
Zum politischen Handeln sind Menschen imstande, die trotz aller Misserfolge und
bei ständigem Ausbleiben des Enderfolgs die Anstrengung unverdrossen auf sich neh-
men, weil sie nie das Vertrauen verlieren in die gewählte Richtung, und weil sie darin
auf lange Sicht hin arbeiten und wagen. Sie haben den zähen Willen, der bei der Sache
bleibt trotz aller Widerstände. Ihre ganze Leistung ist die Verwirklichung des Möglichen
mit ständigen Mängeln. Durch diese politischen Menschen allein besteht der Zusam-
menhang der menschlichen Dinge, welche ohne sie durch Abenteurer, Hazardeure,
Phantasten und durch nihilistischen Machtwillen ins Chaos versinken würden.
Der politische Mensch, der auf den ihn fast erdrückenden Widerstand stösst, nimmt
ihn auf, ohne deshalb zu verzichten. Aber dieser Widerstand fordert die Bescheidung
auf dem ins Unendliche gehenden Weg, der gegangen werden muss mit Geduld ohne
Illusionen. Es kommt an auf das unbeirrbare Wirken zum Guten hin, auf das Ergreifen
dieser Linie in der Welt, die nie die ganze Welt ist. Der wünschbare Gang der Dinge be-
ruht auf dem immer neuen Versuch dieses Willens aus der Idee.
b. Einfachheit
Das geschilderte Ethos aus Wissenwollen, Scheu und Geduld sieht sich einer unüber-
sehbaren Verwicklung des Tatsächlichen gegenüber. Damit ein Weg gegangen werden
kann, muss etwas einfach werden. Die wahre Einfachheit steht aber nicht am Anfang
und ist garnicht offenbar.
Unser Denken in Wissenschaft und Philosophie geht zwar in Verwicklungen, darin
aber auf die einfache Gegenwärtigkeit des Wesentlichen. Diese Arbeit auf das Einfa-
 
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