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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0403
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Grundsätze des Philosophierens

umgänglich ist, spüren sie doch gerade eine Verringerung ihrer Macht, je mehr diese
durch Gewalt erhalten wird.
Das Ethos des politischen Menschen verlangt also von ihm, Macht auszuüben und
ein Wirken durch Gewaltsamkeit auf sich zu nehmen. Nur so kann er der Idee der Da-
seinsordnung auf den Weg helfen. Aber der echte Staatsmann steht in innerer Span-
nung gegen seinen Machtwillen und gegen die Lust an der Gewalt. Philosophisch ist
der Mensch als Politiker dadurch charakterisiert, dass er Gewalt nicht ihrer selbst we-
gen will, aber zugleich dadurch, dass er entschlossen ist, sie in jedem aus der Lage ge-
forderten Maasse auf sich zu nehmen. Es fragt sich ihm nur, wo die Stelle ist, an der sie
unumgänglich wird, wo sie aus dem Gang der Dinge sich aufzwingt.
Die Lust an der Gewaltsamkeit ist die der Bestie im Menschen, diese niederdrük-
kende und entfesselnde Lust noch in den Ohnmächtigsten. Der Mensch kommt zu
sich selbst erst in der Überwindung dieser Lust. Die Lust an der Gewaltsamkeit verführt
den politischen Menschen, erst der Mangel dieser Lust macht ihn unabhängig in der
sachlich unumgänglichen Benutzung der Gewalt.
Die Rolle der Gewalt hat Max Weber mit unerbittlicher Redlichkeit gesehen. Er
nennt politisch das Handeln zur Beeinflussung der Führung des Staats,273 den Staat die
Gemeinschaft, die das Monopol physischer Gewaltsamkeit für sich mit Erfolg bean-
sprucht.274 Dies Mittel der legitimen Gewaltsamkeit bedingt die ethischen Probleme der
Politik. Denn wer Gewalt auf sich nimmt, lässt sich mit den diabolischen Mächten ein,
die in jeder Gewaltsamkeit lauern, und zwar sowohl von den Menschen her, die geführt
werden müssen, als auch von dem Führenden selber her. Wer politisch handelt, ist ge-
bunden an die massiven Antriebe der Gefolgschaft, an Befriedigung von Hass und Rach-
sucht, von Ressentiment und Rechthaberei, von Verketzerungsbedürfnis gegen die Geg-
ner, von Drang nach Abenteuer, Sieg, Beute, Macht und Pfründen. Was ein Führer
tatsächlich erreicht, steht nicht allein in seiner Hand, sondern ist ihm vorgeschrieben
durch jene Motive des Handelns seiner Gefolgschaft, die nur mehr oder weniger im
Zaum zu halten sind. Und welcher Mensch wird als Staatsmann selber den Einflüste-
rungen des Machtwillens und der Gewaltsamkeit als solchen3 widerstehen!
Die sachliche Situation politischen Handelns ist an Gewalt gebunden. Immer ist
die Frage, welcher Zoll für die Erreichung politischer Ziele gezahlt wird. Wer die Rein-
heit seiner Seele will, kann sie zwar nirgends in der Welt, aber am schwersten im Poli-
tischen verwirklichen. Daher die Achtung vor dem Menschen, der die im Dasein not-
wendige Aufgabe in voller Spannung auf sich nimmt.
Der grosse Gegensatz zum Menschen der Gewalt ist der Heilige. Er widersteht nicht
der Gewalt durch Gewalt. Daher kann er in der Welt nichts anderes verwirklichen wol-
len als was ohne Gewalt und ohne Nutzniessung von Gewaltakten anderer möglich ist.

a statt solchen im Ms. und in der Abschrift Gertrud Jaspers solchem
 
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