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Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0453
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Grundsätze des Philosophierens

nur für Existenz. Eine teilweise Entmythologisierung ist ein Irrweg. Das mythische Den-
ken ist im Ganzen zu verwandeln oder im Ganzen in jeder Gestalt zu verwerfen.
Es ist auch unzureichend, die Mythen zu deuten durch etwas anderes, das auch
ohne Mythen fassbar ist, die dann nur hinzukommende Einkleidungen sind, so etwa
in Deutungen durch abstrakte ethische und moralische Ideen, durch Symbolik für my-
stische Erlebnisse, durch Bildsein von Erkenntnissen oder von philosophischen Ideen.
Auf diesem Wege werden die Mythen überflüssig und mehr störend durch verschlei-
ernden, der Deutung bedürftigen Charakter als tragend durch eine eigene Kraft. Es
kommt vielmehr darauf an, die Mythen nicht durch ein anderes, sondern in sich selbst
zu deuten durch Erhellung ihrer unersetzlichen Sprache auf dem Wege eines Eindrin-
gens mit ihnen in die Wirklichkeit, deren Sprache sie sind.
d. Wunder. - Man darf vielleicht die These auf stellen: alle Religionen gründen sich
irgendwo auf ein Absurdes. Der Menscha glaubt nicht, was durchsichtig und wider-
spruchslos wird. Etwas Unbegreifliches, das zugleich alles Begreifenkönnen nieder-
schlägt, muss die Substanz eines wirksamen religiösen Glaubensgehaltes sein. Die uni-
versale Form solcher Unbegreiflichkeit ist das Wunder.
Wunder sind Inhalt von Behauptungen über je einmalige Ereignisse in der empiri-
schen Welt, die nach unseren Erkenntnissen von empirischem Geschehen unmöglich
sind. Es handelt sich um nachprüfbare Behauptungen über Geschehen in der Welt.
Aber es ist unumgänglich, dass sich der Mensch wehrt gegen Zumutungen, für real
anzunehmen, was gegen alle Möglichkeit der Erfahrung in der Welt ist. Was realiter
als sinnlich wahrnehmbares Ereignis nicht geschehen sein kann, wird er redlicher
Weise nicht glauben können.
Nun ist aber keineswegs einfach zu sagen, was unmöglich ist. Darüber mag eine et-
was ausführlichere Erörterung nützlich sein.
In grundsätzlich logischer Unterscheidung gibt es innerhalb des Empirischen immer
nur das äusserst Unwahrscheinliche, das schlechthin Unmögliche dagegen allein inner-
halb des Logischen der idealen Bestände. Dass 3x3 = 10 oder 3 = 1 ist, ist unmöglich; dass
von morgen ab die Sonne nicht mehr aufgeht, ist nur extrem unwahrscheinlich, nicht
unmöglich. In diesem Sinn lässt sich sagen, dass Wissenschaften inbezug auf das Empi-
rische zu der Behauptung [»]unmöglich[«] unfähig, daher unberechtigt seien.
Diesen Satz zu bestätigen, lassen sich eindrucksvolle Erfahrungen berichten. Die
Tatsachen des Hypnotismus wurden seit der Aufklärung und noch im 19. Jahrhundert,
geleugnet. Forscher hielten es unter ihrer Würde, sich mit solchem Schwindel zu be-
fassen, bis die überwältigende, jederzeit beobachtbare Tatsächlichkeit sich allgemein
aufzwang.333 Aristoteliker erklärten die Existenz der Jupitermonde für unmöglich und
weigerten sich darum[,] in Galilei’s Fernrohr zu blicken.334 Ich lernte auf der Schule in

Der Mensch im Ms. hs. Vdg. für Die Menge
 
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