Metadaten

Jaspers, Karl; Weidmann, Bernd [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 2, Band 1): Grundsätze des Philosophierens: Einführung in philosophisches Leben — Basel: Schwabe Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69897#0454
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Grundsätze des Philosophierens

451

der Physikstunde von einem klugen Lehrer anlässlich der ersten Berichte über
Zeppelin’s Pläne, dass Fliegen für den Menschen in jeder Form für immer unmöglich
sei. Solche Beispiele warnen. Es gehört zur Unbefangenheit des Forschers, nicht auf
Grund von Gewohnheit und von einzelnen Argumentationsrichtungen das »unmög-
lich« auszusprechen. Noch inbezug auf wunderlichste Berichte wird er zögern.
Aber diese Einsicht führt leicht zu der Irrung, aus der Ablehnung der Unmöglich-
keit das Mögliche blos darum zuzulassen, weil es nicht absolut unmöglich ist, auch
wenn es äusserst unwahrscheinlich ist. Unwillkürlich wird das Mögliche schon fast
real für eine Haltung, welche eigentlich nach dem Unmöglichen oder doch nach dem
oberflächlich Sensationellen begehrt.
Die Grenze der Möglichkeit ist im Empirischen praktisch und methodisch inbezug
auf das Concrete, das zur Frage steht, zu bestimmen. Der allgemeine abstrakte Satz von
der Möglichkeit überhaupt ist keine Begründung.
Allgemein ist die Grenze der Möglichkeit inbezug auf empirische Erscheinungen
durch Kant mittelst eines transcendentalphilosophischen Gedankens bestimmt. In
der philosophischen Erhellung des umgreifenden Bewusstseins überhaupt, in dem alle
Erkennbarkeit uns vorkommt, wird klar: Empirisch möglich ist nur, was den Bedingun-
gen möglicher Erfahrung entspricht; was diesen nicht entspricht, ist nicht erfahrbar,
daher unmöglich; Erfahrung heisst das allgemein Aussagbare und Mitteilbare inbezug
auf Gegenstände der Erkenntnis, welche Erscheinungen in der Welt sind. Die Bedin-
gungen möglicher Erfahrung werden von Kant in Anschauungsformen und Katego-
rien entwickelt. Ob diese besonderen Entwicklungen sich halten lassen oder nicht, das
ändert nichts an dem Grundgedanken. Dieser gehört zu den Grundsätzen allen Phi-
losophierens, seitdem er begriffen ist. Hier ist ein Boden betreten, wo Einsicht zugleich
eine innere Verfassung der Seele bedeutet (wie bei allen wesentlich philosophischen
Einsichten). Wer sich um Mitternacht auf Kirchhöfen vor Gespenstern gruseln kann,
steht noch nicht auf dem Boden der Philosophie; er lebt nicht philosophisch in der
Welt, sondern noch verfallen an Unklarheit und ausgeliefert möglichem Wahn, falls
dieser sich hier oder sonst in einem Augenblick suggestiv aufdrängt. Philosophisch ist
aus methodisch transcendierender Einsicht und aus dem Vertrauen auf Transcendenz
hier ein unerschütterlicher Punkt.
Weil aber alle Erfahrung nur von Erscheinungen stattfindet, nicht vom Sein an sich
selbst, so ist mit all diesem Erkennen der Grund der Dinge nicht erreicht. Nennen wir
Erfahrung nicht nur das gegenständlich und mitteilbar Werdende, sondern jede Weise
des Inneseins von Wirklichkeit, so geht solche Erfahrung über das hinaus, was Kant in
dem Satze von den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung unter Erfahrung ver-
steht. Was aber so in einem Menschen »erfahren« werden mag, selbst wenn es Funda-
ment seines Seinsbewusstseins würde, würde stets eine unmitteilbare Erfahrung, et-
was schlechthin Einmaliges, nicht zu Verallgemeinerndes sein, etwas, das schon im
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften