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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.71782#0184
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Karl Jaspers - Piper Verlag (1948)

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sehen jeden machtpolitischen nationalen Gedanken, wenn sie zu sich selbst gekom-
men sind, aufgeben müssen, und im Zusammenhang damit, daß Deutschland zwar
»der geographische Raum bleibt, auf dem die Hauptmasse der deutschsprechenden Be-
völkerung lebt«, daß aber die Frage bestehe, - ob »ein intensiveres Deutschland heute
nicht außerhalb gelebt werde, am Ende zu Nutz und Frommen aller Deutschen«.236
Auch ich glaube, daß die Entwicklung unseres Planeten in Richtung auf eine einheit-
liche Welt geht, wenn man sich auch einen Weltstaat jetzt noch nicht in irgendeiner
konkreten Form vorstellen kann. Der Weltstaat ist ein Fernziel, heute mehr ein Ziel
der Spekulation, der moralischen und gesellschaftlich-theoretischen Forderung als
der unmittelbaren politischen Aufgabe. In dieser Situation muß doch das hic et nunc
des deutschen Denkens und Handelns die Erreichung eines neuen staatlichen Lebens
für Deutschland - in den Grenzen des praktisch Erreichbaren - anstreben. Nicht nur
weil wir Deutsche selbst, zunächst wenigstens in den Westzonen, eine klare Ordnung
brauchen, sondern weil eine europäische Konföderation ohne ein sinnvolles, lebens-
fähiges Staatsgebilde Deutschland nicht möglich ist.
Hierbei fragt es sich aber, ob die Deutschen, die jetzt in anderen Ländern leben,
wirklich in einem intensiveren Sinn deutsch sein können als diejenigen, die den deut-
schen Aufgaben unmittelbar im Lande verbunden bleiben. Für die geistig schöpferi-
schen Deutschen, die heute in viele Länder der Erde verstreut wirken und deren Zahl
sich wohl noch vermehren wird, kann diese Frage gewiß nicht gelten. Aber nach mei-
ner Ansicht doch wohl für alle anderen. Es hat mich hierin der beiliegende Aufsatz von
Max Hermann Maier »Führt ein Weg zurück nach Deutschland?« in der Neuen Zei-
tung vom 18.11. bestärkt.237 Gewiß ist die Lage der jüdischen Emigranten eine beson-
dere. Aber ich glaube, daß die nüchterne Konsequenz, die dieser Artikel aufzeigt, mehr
oder weniger für jedes Hinüberwechseln in die Lebensform eines anderen Volkes, erst
recht eines anderen Kontinents, gilt - von den wenigen Menschen, die selbsttätig im
geistigen Leben stehen und darin als Weltbürger immer Deutsche bleiben werden, wie
gesagt, abgesehen. Der Durchschnittsdeutsche, der jetzt oder in den nächsten Jahren
nach Canada oder Südafrika auswandert, muß aus den deutschen Aufgaben ausschei-
den. Dies braucht aber nicht nur im höheren Sinn für Deutschland kein Verlust zu sein,
sondern kann ihm (D.) wesentlichen Gewinn bringen. So ist die Frage: als Deutscher
innerhalb der deutschen Grenzen zu leben oder außerhalb, überhaupt keine Frage
eines absoluten Wertes, sondern nur eine solche der klar erkannten Konsequenzen.
Ihr Aufsatz enthält nachdrückliche Formulierungen über die Illusionshaftigkeit
eines deutschen Einheits-Denkens und jeder deutschen Machtpolitik. Die Frage der
Macht scheint mir gerade in Deutschland eine der ungeklärtesten zu sein. Ob es
nicht den meisten hierbei an der rechten Unterscheidung fehlt? Ich meine die Ent-
scheidung zwischen Macht und Gewalt. Die Macht, richtig verstanden, ist ein inte-
grierendes Element des persönlichen wie des sozialen Lebens. Auch ein Mensch, der
 
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