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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1958)

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Ich habe den Bundespraesidenten Heuss nicht ausdrücklich genannt. Das beruht
darauf, dass ich die Weise seiner demokratischen Gesinnung für eine sublime, ganz
unbewusste Verschleierung des politischen Ernstes halte. Es ist der Typus des frag-
würdigen Liberalismus, der 1848 verpfuschte, Angst vor dem Socialismus hatte, uns
Bismarck zur Macht brachte, die politische Unfreiheit in Kauf nahm, keine Wider-
standskraft gegen die Hitlerbewegung hatte und schliesslich das Ermächtigungsge-
setz annehmen konnte. Heuss hat als staatspolitischer Erzieher versagt, entscheidend
damals, als das Bundesverfassungsgericht wegen der Verfassungswidrigkeit der EVG-
Verträge befragt werden sollte und nur das Wort fand, er sei gegen die »Justificierung
der Politik«.1032 Das war damals, mir unvergesslich eingeprägt, sehr schlimm. Wenn
ich, wegen seiner Gegenwart, ein freundliches Wort hinzufügen würde auf S. 8 Zeile
4, so würde ein einzufügender Satz lauten können: »Der Bundespraesident hat durch
sein überall mit Sympathie aufgenommenes Verhalten und seine Sprechweise das Ver-
trauen zur Bundesrepublik auch in der Stimmung der Welt gestärkt.« Das wäre aber in
dem Zusammenhang viellleicht fast kränkend. Ich fürchte, dass Heuss den darin lie-
genden kritischen Unterton hören würde. Wir sind uns gelegentlich begegnet: 1934
in Badenweiler (damals waren seine Äusserungen erschreckend für mich),1033 1945 in
Heidelberg. Es ging nicht. In der Folge trat ich in die neu gegründete demokratische
Partei,1034 wozu ich aufgefordert wurde, bewusst nicht ein. Ich war 1922 aus ihr ausge-
treten.1035 Über all das gelegentlich mündlich. Dieses Subjektive enthält etwas Objek-
tives. Die Hinzufügung des Satzes widerstrebt mir. Sollten Sie dafür sein, bitte ich um
Telegramm oder Telefon, dass ich ihn noch in der Correktur anbringe, falls ich mich
entschliesse.1036
Dann der zweite Punkt: Ich habe wegen der Frage »Souveränität der Bundesrepu-
blik und Wiedervereinigung« keine Modifikation angebracht. Ich bin überzeugt, dass
die Politik sein sollte: Freiheit für unsere Deutschen im Osten, - wird sie erreicht, so
ist alles Wesentliche erreicht. Ob dann eine Wiedervereinigung stattfindet, ist eine
Sache zweiten Rangs. Würde die Freiheit von Russland bewilligt (freie Wahlen) unter
der Bedingung einer militärischen Neutralität Ostdeutschlands (aus Sorge vor der Stei-
gerung des deutschen Kriegspotentials), in Analogie zu Oesterreich, so wäre das m.E.
acceptabel. Ich sehe in dieser Frage eine Verwirrung, die ich hier in Kürze nicht ent-
wickeln kann. Darum lieber gar kein Wort darüber.
Nochmals meinen herzlichen Dank!
Ihr Karl Jaspers
 
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