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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1966)

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Sie haben mir in außerordentlich interessanter Weise über Ihre Eindrücke aus der
Lektüre von Bismarck-Biographien geschrieben, zuerst im Zusammenhang mit einer
»Geschichte der Freiheit« und dann auch in Ihrem kürzlichen Brief.1669
Sehr beschäftigt hat mich Ihre Feststellung, daß das geschichtliche Fragen, wenn
es, im Fall Deutschlands, zurückgeht zu den Großen wie Bismarck und Luther, den
Mut haben muß zu kritischen Urteilen. Dies ist gewiß eine unumgängliche Aufgabe
der »radikalen Umwertung unserer Geschichte«, von der Sie schrieben.
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen in der letzten Zeit schrieb, daß mir das Bismarck-Kapi-
tel bei dem sonst oft zu oberflächlich-eleganten Grafen Harry Kessler in seinem Erin-
nerungsbuch »Gesichter und Zeiten« einen starken Eindruck machte, weil dort, im
Erlebnis des alten Bismarck durch die Studenten in Kissingen das Widersprüchlich-
Reiche seiner Natur ungemein anschaulich zum Ausdruck kommt.1670 Die von Ihnen
genannten möglichen Autoren Bracher und von der Gablentz haben beide einen
guten Namen. Bracher soll allerdings ein recht trockener Darsteller sein.1671 Ich werde
weiter über die Frage nachdenken.
Was Luther anbelangt, so interessiert es Sie vielleicht, daß Richard Friedenthal seit
zwei Jahren an einer großen Luther-Biographie schreibt (in der auch die Zeitgenossen
eine bedeutende Rolle spielen sollen).
Für absolut entscheidend halte ich die »Unabhängigkeit des Denkens«. Die geistige
Persönlichkeit Luthers ist in der Beziehung dazu gewiß anders zu beurteilen als die
von Bismarck. Das Nicht-Dulden unabhängigen Denkens in seiner politischen Umge-
bung durch Bismarck, wohl auch in der deutschen Autoritätstradition (nicht nur im
Charakter Bismarcks) begründet, ist sicher für die neuere deutsche Entwicklung sehr
verhängnisvoll gewesen.
Ich habe mir erlaubt, zur raschen Lieferung an Sie zu bestellen:
Heinemann, Verfehlte Deutschlandpolitik.1672
Ich fand das Buch gerade im Buchhändler-Börsenblatt angezeigt.1673
Ich weiß nicht, ob Sie die Sammlung der Gaus'schen Interviews besitzen. Ich
kam darauf, sie Ihnen zugehen zu lassen, weil uns Herr Gaus Anfang dieser Woche
besuchte und uns auf sein damaliges Interview mit Wehner aufmerksam machte;1674
vielleicht finden Sie darin noch einen Ihnen nützlichen Hinweis. Herr Gaus sagte uns
noch, daß er mit Wehner ein größeres dialogisches Portrait verabredet habe, das als
Taschenbuch in der Serie rororo-aktuell herauskommen werde.1675 Gaus sagte mir, daß
Wehner unstreitig eine politische Potenz sei, darin nach seiner Meinung stärker als
Schumacher. Er halte Wehner nach Adenauer für den stärksten praktischen Politiker
der letzten Zeit in der Bundesrepublik (bei berechtigten Fragezeichen).
Ich freue mich aufrichtig, dass meine brieflichen Bemerkungen für Ihre eigenen
letzten Überlegungen einiges Material enthielten. Daß Sie nun innerlich mit der
 
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