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Jaspers, Karl; Piper, Klaus; Fonfara, Dirk [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 3, Band 8,2): Ausgewählte Korrespondenzen mit dem Piper Verlag und Klaus Piper 1942-1968 — Basel: Schwabe Verlag, 2020

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Karl Jaspers - Piper Verlag (1966)

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zufrieden. Abends lese ich Bismarck und über Bismarck.1752 Grossartig und schaurig.
Ein Mann hohen Geistes, ein Spieler, ein eigenwilliger, politisch (aussenpolitisch in
einer Zeit, als die Politik wesentlich diplomatisch war) genial, bewunderungswür-
dig im Willen zum Staat und zum Mass, nicht kriegslustig, ohne Eroberungswillen,
aber doch ein Mann, der alle üblen Eigenschaften der Deutschen benutzte für seine
Zwecke, dadurch steigerte und allzuvielen, wie man immer gesagt hat, das Rückgrat
brach.1753 Im Geheimen sprach er vom Schwindel des Nationalgedankens, aber nutzte
ihn. Er war mit seinen Antrieben gegen den Militarismus, aber posierte selber in Uni-
form und Helm. Ich studiere ihn, um zu sehen, wie bei einem grossen Geist und sou-
veränen Aussenpolitiker das fehlt, womit ich mich grade beschäftige: Die Unabhän-
gigkeit des Denkens. Das ist in dem zynischen Nihilismus seiner Jugend über die
religiöse Bekehrung1754 bis zu seiner täglichen Lesung der Losungen in einem Heft
der Brüdergemeinde (im Krieg 70/71)1755 und bis zur Trostlosigkeit seines Sterbens zu
sehen.1756 Wie schrecklich ist das alles; und von seinem Geist, seiner Sprache, seinen
Einfällen ist man immer wieder ergriffen. Das ist etwas geistig Bezwingendes. Bei län-
gerem Lesen allerdings ist mir immer wieder zumute, als tue sich eine Leere auf, die
alles verschlingt.
Nun, ich wollte nur einen Dankesgruss schicken und habe wieder einen unleserli-
chen Brief geschrieben.
Herzlich Ihr Karl Jaspers
325 Klaus Piper an Karl Jaspers
Typoskript; DLA, A: Jaspers, mit dem Briefkopf Klaus Piper München 13 Georgenstraße 4
22. Dezember 1966
Lieber Herr Professor,
zum Weihnachtsfest möchte ich Ihrer lieben verehrten Gattin und Ihnen nicht nur
durch die Übersendung unseres Weihnachtsdrucks, des REQUIEMS der russischen,
in diesem Jahr gestorbenen Dichterin Anna Achmatowa, unser aller herzliche Wün-
sche übersenden.1757
Ich denke in Dankbarkeit an das zu Ende gehende Jahr zurück. Persönlich brachte
es ja meiner Frau und mir Belastungen. Die Verlagsarbeit aber war erfolgreich. An der
Spitze steht ihr Buch »Wohin treibt die Bundesrepublik?«.
Ich muß das entscheidende Wort hier wiederholen, da ich keinen >Ersatz< dafür
zur Hand habe: es ist ein Glücksfall für einen Verleger, wenn er, verbunden mit sei-
nen Mitarbeitern, einem Buch den Weg zur Wirkung ebnen darf, das den politischen
Lebensnerv der Nation, für die es geschrieben ist, berührt.1758 Sie waren ja, mit Recht,
skeptisch darüber, ob, was Sie schrieben, auch in das Denken der Menschen eindrin-
 
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