Die christliche Paideia
des Johannes Malalas
Johann Martin Thesz
Abstract Recent scholarship has attempted to revise the traditional assessment of John Malalas,
long considered the unsophisticated author of a popular history, suggesting that Malalas was
in fact fairly well educated. This article argues that the linguistic level of Malalas’ Chronicle
and his obvious unfamiliarity with the Classical authors comprising the core of the ancient
school curriculum compel the conclusion that Malalas cannot in fact have received a traditional
grammatical and rhetorical education. His rejection of the pagan literary canon and Attic style,
it is argued, reflect the displacement of traditional paideia by a Christian cultural framework, a
development for which significant parallels exist in 6th century culture.
Den Begriff Paideia mit Johannes Malalas in Verbindung zu bringen, mag zunächst -
gerade wenn man ältere Urteile über seine Person im Hinterkopf hat - befremdlich
erscheinen. Lange Zeit galt Malalas nämlich als „jeder feineren Bildung bar“1, seine
Chronik als Werk der „Trivialliteratur“2, das sich an ein breites Publikum von halb-
gebildeten „Mönchen und Laien“ gerichtet habe.3 Verschiedene Faktoren haben zu
dieser Bewertung beigetragen: Einmal die negative Haltung gegenüber der byzanti-
nischen Chronistik, die der klassizistischen Historiographie gegenübergestellt wurde;
zum anderen inhaltliche Aspekte wie das Interesse an Kuriositäten und Anekdoten, die
den Eindruck entstehen ließen, es handle sich um ein „geschichtliches Volksbuch“4.
Schließlich schien die nach klassischen Maßstäben inkorrekte Sprachverwendung des
Malalas seine Chronik als Produkt einer,populären4 Kultur auszuweisen.
1 Krumbacher (1897), $■ 326-
2 Hunger (1978), S. 321. Zu den byzantinischen Chroniken als „Trivialliteratur“ vgl. ebd., S. 257-278.
3 Krumbacher (1897), $■ 32^ zufolge hat Malalas „nicht für das höher gebildete Publikum, sondern
für die grosse Masse von Mönchen und Laien (...)“ geschrieben. So auch Moravcsik (1958), S. 330:
„Das weltgeschichtliche Werk des Malalas ist für die breiten Massen, vor allem die Mönche, be-
stimmt und stellt daher keine höheren Ansprüche. Ein richtiges Volksbuch, populär in Sprache und
Darstellung, behandelt es mit einer ausgesprochenen christlich-apologetischen Tendenz diejenigen
Ereignisse, die seine Leser vor allem interessieren.“ Ähnlich Jones (1964), Bd. 2, S. 1010, der Malalas
als „popular historian“ bezeichnet und als Zielpublikum das „lower stratum of society“ bzw. den
„common man“ ansetzt. Auch Hunger (1978), S. 323 zufolge hat man sich als Rezipienten der Chro-
nik die „breiten Volksschichten“ vorzustellen. Vgl. außerdem Geizer (1885), S. 129: „Es ist ein bedenk-
liches Zeichen für die mönchische Gelehrsamkeit, dass ein so elendes Elaborat so grosses Ansehen
genoss.“
4 Krumbacher (1897), $■ 32^·
des Johannes Malalas
Johann Martin Thesz
Abstract Recent scholarship has attempted to revise the traditional assessment of John Malalas,
long considered the unsophisticated author of a popular history, suggesting that Malalas was
in fact fairly well educated. This article argues that the linguistic level of Malalas’ Chronicle
and his obvious unfamiliarity with the Classical authors comprising the core of the ancient
school curriculum compel the conclusion that Malalas cannot in fact have received a traditional
grammatical and rhetorical education. His rejection of the pagan literary canon and Attic style,
it is argued, reflect the displacement of traditional paideia by a Christian cultural framework, a
development for which significant parallels exist in 6th century culture.
Den Begriff Paideia mit Johannes Malalas in Verbindung zu bringen, mag zunächst -
gerade wenn man ältere Urteile über seine Person im Hinterkopf hat - befremdlich
erscheinen. Lange Zeit galt Malalas nämlich als „jeder feineren Bildung bar“1, seine
Chronik als Werk der „Trivialliteratur“2, das sich an ein breites Publikum von halb-
gebildeten „Mönchen und Laien“ gerichtet habe.3 Verschiedene Faktoren haben zu
dieser Bewertung beigetragen: Einmal die negative Haltung gegenüber der byzanti-
nischen Chronistik, die der klassizistischen Historiographie gegenübergestellt wurde;
zum anderen inhaltliche Aspekte wie das Interesse an Kuriositäten und Anekdoten, die
den Eindruck entstehen ließen, es handle sich um ein „geschichtliches Volksbuch“4.
Schließlich schien die nach klassischen Maßstäben inkorrekte Sprachverwendung des
Malalas seine Chronik als Produkt einer,populären4 Kultur auszuweisen.
1 Krumbacher (1897), $■ 326-
2 Hunger (1978), S. 321. Zu den byzantinischen Chroniken als „Trivialliteratur“ vgl. ebd., S. 257-278.
3 Krumbacher (1897), $■ 32^ zufolge hat Malalas „nicht für das höher gebildete Publikum, sondern
für die grosse Masse von Mönchen und Laien (...)“ geschrieben. So auch Moravcsik (1958), S. 330:
„Das weltgeschichtliche Werk des Malalas ist für die breiten Massen, vor allem die Mönche, be-
stimmt und stellt daher keine höheren Ansprüche. Ein richtiges Volksbuch, populär in Sprache und
Darstellung, behandelt es mit einer ausgesprochenen christlich-apologetischen Tendenz diejenigen
Ereignisse, die seine Leser vor allem interessieren.“ Ähnlich Jones (1964), Bd. 2, S. 1010, der Malalas
als „popular historian“ bezeichnet und als Zielpublikum das „lower stratum of society“ bzw. den
„common man“ ansetzt. Auch Hunger (1978), S. 323 zufolge hat man sich als Rezipienten der Chro-
nik die „breiten Volksschichten“ vorzustellen. Vgl. außerdem Geizer (1885), S. 129: „Es ist ein bedenk-
liches Zeichen für die mönchische Gelehrsamkeit, dass ein so elendes Elaborat so grosses Ansehen
genoss.“
4 Krumbacher (1897), $■ 32^·