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Internationale Tagung "Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur" <2016, Tübingen>; Borsch, Jonas [Hrsg.]; Gengler, Olivier [Hrsg.]; Meier, Mischa [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Malalas-Studien: Schriften zur Chronik des Johannes Malalas (Band 3): Die Weltchronik des Johannes Malalas im Kontext spätantiker Memorialkultur — Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2019

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VI. Die Chronik als Memorialgattung
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Scardino, Carlo: Historische und Theologische Diskurse in den Lateinischen Chroniken des 5. und 6. Jh. n. Chr.
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https://doi.org/10.11588/diglit.61687#0264
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Historische und theologische Diskurse in den lateinischen Chroniken

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Funktionell erfüllen also die Chroniken ähnliche Aufgaben wie die narrativen Ge-
schichtswerke; dazu gehört auch, ,das Geschehene nicht der Vergessenheit anheimfal-
len zu lassen46 und es implizit als Etappe der göttlichen Heilsgeschichte zu deuten.7
Natürlich widerspiegeln die Chroniken ein bestimmtes religiöses, kulturelles und in-
tellektuelles Umfeld, in dem sie entstanden sind, und richten sich an ein bestimmtes
Publikum von gebildeten Lesern, die sich für diese Gattung interessieren und mit
einer bestimmten Erwartungshaltung an die jeweilige Chronik herangehen.8
Da wir über einige Chronisten wie die anonymen Verfasser der beiden Gallischen
Chroniken von 452 und 511 nichts oder wie über Hydatius nur sehr wenig - das meiste
aus kurzen Hinweisen aus dem Werk selbst - wissen, ist es nur auf der Grundlage
der einzelnen Chronik möglich, die Intention ihres jeweiligen Autors zu erschließen.
Neben der Verfügbarkeit von schriftlichen und mündlichen Quellen und den sozialen
und individuellen Merkmalen der einzelnen Autoren spielt auch der geographische
Raum, in dem eine Chronik entstanden ist, eine wichtige Rolle; so nehmen etwa bei
Prosper und den Gallischen Chroniken Gallien, bei Hydatius Galizien, das besonders
ab der Mitte des 5. Jh. fast alleiniger Fokus der Chronik bildet,9 und bei Marcellinus
Konstantinopel einen wichtigen Platz ein. Daher können wichtige Vorfälle, die sich
in anderen Gegenden ereignet haben, durchaus fehlen, da durch die Zerstückelung
des Reiches die Informationen nicht mehr gleichmäßig flossen. Während Eusebius
und Hieronymus die verschiedenen Stränge und Schauplätze des Geschehens (Israel,
Assyrien, Griechenland und Ägypten) nebeneinander führten und zu synchronisieren
versuchten, blieb nach der Eroberung des Mittelmeerraums durch die Römer und der
Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch Titus 70 n.Chr. nur noch der römische
Strang, der ab dem 4. Jh. christlich wurde, übrig.10 Grundlage der Chronologie bilde-
ten bei Hieronymus, Hydatius und den anonymen Gallischen Chronisten die Herr-
by being identified as parts of an integrated whole. By the plot of this story ... I am referring to the list
of dates given in the left-hand file of the text which confers coherence and fullness on the events by
registering them under the years in which they occurred. To put it another way, the list of dates can be
seen as the signifieds of which the events given in the right-hand column are the signifiers. The ,me-
aning' of the events is their registration in this kind of list.“
6 Dieses Ziel ώς μήτε τά γενόμενα έξ ανθρώπων τώ χρόνω εξίτηλα γένηται, nannte bereits
Herodot im Anfangssatz seines Werks.
7 Cardelle de Hartmann (2000), S. 109: „Der Erfolg der Chronik beruhte wohl darauf, dass sie eine an-
schauliche christliche Geschichtsinterpretation anbot.“
8 So etwa Croke (2001), S. 209: „The expectations and understanding of an audience are linked to con-
temporary life and culture, as well as to the nature of the literary genre. In the case of the late antique
chronicler the well-defined tradition of the genre (based mainly on Eusebius and Jerome) required a
writer to include entries of renowned rulers and events, on the foundation of cities, and on famous
writers, philosophers, and poets. Especially important too were the numerous prodigies (earthquakes,
famines, floods, eclipses etc.) experienced in all parts of the world, because these events demonstrated
the hand of God at work in human affairs.“
9 Darauf verweist auch Cardelle de Hartmann (2000), S. 120: „Bis zum Ende der theodosianischen Dy-
nastie lässt seine Chronik noch Vertrauen in das Römische Reich und den Anspruch, seine Geschichte
zu schreiben, erkennen. Ab diesem Punkt zerfranst die Chronik: die Nachrichten werden zwar häufiger
und länger, sie kommen jedoch fast ausschließlich aus der eigenen Provinz des Autors.“
10 Eusebius, Hieronymi Cbronicon, ab 269F Helm.
 
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