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Carlo Scardino
schaftsjahre der römischen Kaiser, daneben wurden oft auch die Olympiadenzählung,
Abrahamjahre und bei Hydatius zusätzlich die Jahre der sogenannten spanischen
Ära‘ berücksichtigt. Anstelle der Herrschaftsjahre der Kaiser bildete bei Prosper, sei-
nem Nachfolger Victor von Tunnuna, Marius Aventicensis sowie bei Marcellinus das
aus den ConsularicF stammende Modell, die Jahre nach den jeweiligen der Konsuln zu
zählen, das chronologische Gerüst, während Cassiodor die Jahre entsprechend seiner
jeweiligen Quelle nach Herrscherjahren bzw. Konsuln zählt. Hingegen legen Isiodor
und Johannes von Biclarum, der Fortsetzer des Victor von Tunnuna, ihrer Chrono-
logie die Kaiserjahre zugrunde, besonders da seit Justinians Erlass 541 niemand mehr
außer dem Kaiser selbst Konsul sein durfte.
Abgesehen von diesen die chronologische Gliederung des Materials betreffenden
Unterschieden weisen die verschiedenen Chronisten innerhalb des von Hieronymus
auch stilistisch vorgegebenen Modells weitere, individuelle Merkmale auf, die von der
Zeit, dem Ort, der gesellschaftlichen Rolle als Mitglied der Spätantiken Elite12 und
dem Charakter des Schreibenden abhängen. Diese Eigenheiten und Nuancen zeigen
sich besonders auch in der Auswahl und Gestaltung des in der Chronik behandelten
Stoffes,13 der nach dem Willen des Chronisten aufgezeichnet werden sollte.14 Punk-
tuell sind diese Eigenheiten in Monographien über einzelne Chronisten dargelegt
und erklärt worden,15 doch fehlt bisher eine systematische synoptische Analyse, die
alle nachhieronyminianischen Chroniken berücksichtigt. Im Rahmen dieses Beitrags
sollen anhand einiger ausgewählter Beispiele Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei
der Auswahl und Behandlung der erzählten Ereignisse paradigmatisch illustriert wer-
den.16
Somit steht nicht die Rekonstruktion der von den einzelnen Chronisten verwen-
deten Quellen im Mittelpunkt, sondern, da der Chronist über weite Strecken auch
ii Zu den Unterschieden zwischen Consularia und Chroniken vgl. Burgess/Kulikowski (2013a), S. 35-57
und Becker in Becker/Bleckmann/Groß/Nickbakht (2016), S. 2-7.
12 Dafür, dass sich, wie Cardelle de Hartmann (2000), S. 116 meint, die Chroniken im Gegensatz zu den
narrativen Geschichtswerken auf Grund ihrer Kürze und des einfacheren Stils an ein breiteres Publi-
kum richteten, gibt es keine schlüssigen Hinweise. Die Vorliebe für diese Gattung kann auch den
Geschmack und den Bildungsgrad der damaligen Elite widerspiegeln, die, wie etwa Cassiodors Aus-
führungen in seinen Institutiones zeigen, nicht mehr sehr gehoben waren, was Cardelle de Hartmann
selbst einräumt.
13 Vgl. Croke (2001), S. 11: „The very process of the selection and omission of facts, and the way they are
configured within the author’s narrative, often tells us much about an author.“
14 Cardelle de Hartmann (2000), S. 116 betont die stete Präsenz des Autors: „Vor allem macht er sich
durch seine Themenauswahl und seine spezifischen Darstellungen der Nachrichten bemerkbar. Die
Anordnung nach Jahren und die fehlende Reflexion können dies verdecken. Bei einer aufmerksamen
Lektüre kann man jedoch bemerken, dass eine solche Auswahl durchaus getroffen und von der Ideolo-
gie des Autors gelenkt wurde. Sogar die Narrativität ist im Ansatz zu erkennen: bestimmte Themen
werden verfolgt, wenn auch die chronologische Anordnung zur Verwirrung der Erzählfäden führen
kann, nur ein Abschluss wird vermisst.“
15 So etwa Muhlberger (1990) oder Burgess (1993) sowie die Einzelstudien von Cardelle de Hartmann
(1994), Croke (2001) oder die Einleitungen zu den jeweiligen Werken in den neuen Ausgaben von
Becker/Bleckmann/Groß/Nickbakht (2016), Becker/Kötter (2016) und Kötter/Scardino (2017).
16 Für die Zukunft ist eine systematische Monographie zu diesem Themenkomplex geplant.
Carlo Scardino
schaftsjahre der römischen Kaiser, daneben wurden oft auch die Olympiadenzählung,
Abrahamjahre und bei Hydatius zusätzlich die Jahre der sogenannten spanischen
Ära‘ berücksichtigt. Anstelle der Herrschaftsjahre der Kaiser bildete bei Prosper, sei-
nem Nachfolger Victor von Tunnuna, Marius Aventicensis sowie bei Marcellinus das
aus den ConsularicF stammende Modell, die Jahre nach den jeweiligen der Konsuln zu
zählen, das chronologische Gerüst, während Cassiodor die Jahre entsprechend seiner
jeweiligen Quelle nach Herrscherjahren bzw. Konsuln zählt. Hingegen legen Isiodor
und Johannes von Biclarum, der Fortsetzer des Victor von Tunnuna, ihrer Chrono-
logie die Kaiserjahre zugrunde, besonders da seit Justinians Erlass 541 niemand mehr
außer dem Kaiser selbst Konsul sein durfte.
Abgesehen von diesen die chronologische Gliederung des Materials betreffenden
Unterschieden weisen die verschiedenen Chronisten innerhalb des von Hieronymus
auch stilistisch vorgegebenen Modells weitere, individuelle Merkmale auf, die von der
Zeit, dem Ort, der gesellschaftlichen Rolle als Mitglied der Spätantiken Elite12 und
dem Charakter des Schreibenden abhängen. Diese Eigenheiten und Nuancen zeigen
sich besonders auch in der Auswahl und Gestaltung des in der Chronik behandelten
Stoffes,13 der nach dem Willen des Chronisten aufgezeichnet werden sollte.14 Punk-
tuell sind diese Eigenheiten in Monographien über einzelne Chronisten dargelegt
und erklärt worden,15 doch fehlt bisher eine systematische synoptische Analyse, die
alle nachhieronyminianischen Chroniken berücksichtigt. Im Rahmen dieses Beitrags
sollen anhand einiger ausgewählter Beispiele Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei
der Auswahl und Behandlung der erzählten Ereignisse paradigmatisch illustriert wer-
den.16
Somit steht nicht die Rekonstruktion der von den einzelnen Chronisten verwen-
deten Quellen im Mittelpunkt, sondern, da der Chronist über weite Strecken auch
ii Zu den Unterschieden zwischen Consularia und Chroniken vgl. Burgess/Kulikowski (2013a), S. 35-57
und Becker in Becker/Bleckmann/Groß/Nickbakht (2016), S. 2-7.
12 Dafür, dass sich, wie Cardelle de Hartmann (2000), S. 116 meint, die Chroniken im Gegensatz zu den
narrativen Geschichtswerken auf Grund ihrer Kürze und des einfacheren Stils an ein breiteres Publi-
kum richteten, gibt es keine schlüssigen Hinweise. Die Vorliebe für diese Gattung kann auch den
Geschmack und den Bildungsgrad der damaligen Elite widerspiegeln, die, wie etwa Cassiodors Aus-
führungen in seinen Institutiones zeigen, nicht mehr sehr gehoben waren, was Cardelle de Hartmann
selbst einräumt.
13 Vgl. Croke (2001), S. 11: „The very process of the selection and omission of facts, and the way they are
configured within the author’s narrative, often tells us much about an author.“
14 Cardelle de Hartmann (2000), S. 116 betont die stete Präsenz des Autors: „Vor allem macht er sich
durch seine Themenauswahl und seine spezifischen Darstellungen der Nachrichten bemerkbar. Die
Anordnung nach Jahren und die fehlende Reflexion können dies verdecken. Bei einer aufmerksamen
Lektüre kann man jedoch bemerken, dass eine solche Auswahl durchaus getroffen und von der Ideolo-
gie des Autors gelenkt wurde. Sogar die Narrativität ist im Ansatz zu erkennen: bestimmte Themen
werden verfolgt, wenn auch die chronologische Anordnung zur Verwirrung der Erzählfäden führen
kann, nur ein Abschluss wird vermisst.“
15 So etwa Muhlberger (1990) oder Burgess (1993) sowie die Einzelstudien von Cardelle de Hartmann
(1994), Croke (2001) oder die Einleitungen zu den jeweiligen Werken in den neuen Ausgaben von
Becker/Bleckmann/Groß/Nickbakht (2016), Becker/Kötter (2016) und Kötter/Scardino (2017).
16 Für die Zukunft ist eine systematische Monographie zu diesem Themenkomplex geplant.