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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0156
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Stellenkommentar GT 2, KSA 1, S. 33 135

ren Empfindung bestimmt kundgiebt“ (GSD IV, 174). N. übernimmt von Wagner
sogar das in diesem Zusammenhang hervorgehobene Wort „Tanzgebärde“. Bei
Wagner heißt es (S. 176): „Die Fähigkeit hierzu gewann das Orchester aus der
Begleitung der sinnlichsten Gebärde, der Tanzgebärde [...] indem sich die
Tanzgebärde, wie die Gebärde überhaupt, zur Orchestermelodie etwa so ver-
hält, wie der Wortvers zu der aus ihm bedingten Gesangsmelodie“. „Ihren sinn-
lichsten Berührungspunkt“, fährt Wagner fort, „hatten Tanzgebärde und
Orchester imRhythmos“-N. spricht von „Rhythmik“. Später, in der Morgen-
röthe (M 255, KSA 3, 206 f.) distanziert sich N. in einem fiktiven Gespräch von
der „Gebärden“-Sprache und den ebenfalls auf Ausdrucksverstärkung angeleg-
ten „Rhythmen“ der Wagnerschen Musik.
Der Leitbegriff „symbolisch“ bedeutet in der hier zu erörternden Partie
,zeichenhaft4, die Begriffe „Symbol“ und „Symbolik“ soviel wie ,Ausdrucks-
form4, Zeichensprache4. N. geht auf seine Auffassung der „Symbolik“, insbe-
sondere der „Geberdensymbolik“ und der Sprach-Symbolik, die er ebenfalls
„unter die Kategorie der leiblichen Symbolik“ rechnet, ausführlich in einem
nachgelassenen Notat vom Frühjahr 1871 ein (NL 1871, KSA 7, 12[1], 359-362),
um dann das in Wagners Schrift Oper und Drama intensiv behandelte Verhält-
nis der Sprache zur Musik vor dem Hintergrund von Schopenhauers Philoso-
phemen zu beleuchten. In einem nachgelassenen Notat aus dem Jahr 1871
heißt es: „Der Mangel des Symbols in unserer modernen Welt. Verständniß der
Welt in ,Symbolen4 ist die Voraussetzung einer großen Kunst. Für uns ist die
Musik zum Mythus, zu einer Welt von Symbolen geworden: wir verhalten
uns zur Musik, wie der Grieche zu seinen symbolischen
Mythen“ (NL 1871, KSA 7, 9[92], 308, 9-14). Besonders die zuletzt zitierte
Wendung erinnert an das von N. herangezogene Werk von Georg Friedrich
Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen.
Creuzer hatte im Einführungsteil der ersten beiden Auflagen (1810-12 und 1819,
nicht mehr in der 1837 erschienenen 3. Auflage) ausführlich seine in romanti-
scher Tradition stehende Symboltheorie entfaltet. Schon August Wilhelm
Schlegel hatte in seinen von N. für GT intensiv herangezogenen Vorlesungen
über schöne Literatur und Kunst (1801-1804) die romantische Unendlichkeits-
und Ganzheitsideologie mit dem Symbolbegriff verbunden: „Das Schöne ist
eine symbolische Darstellung des Unendlichen“, denn nur „symbolisch, in Bil-
dern und Zeichen“ sei das Unendliche zur Erscheinung zu bringen (Kritische
Ausgabe der Vorlesungen I, hg. von Ernst Behler, 1989, S. 248 f.). Creuzer betont
die in äußerster momenthafter Verdichtung wirkende Ganzheitsqualität des
Symbols, die auch für N. zentral ist (vgl. den übernächsten Abschnitt des Kom-
mentars). Zugleich psychologisiert Creuzer das Wirkungspotential des Sym-
bols, indem er es im Unbewußten verankert: „In einem Augenblicke und
 
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