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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0158
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Stellenkommentar GT 2, KSA 1, S. 33 137

zurückführen könnte“ (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophie der
Kunst, in: Sämmtliche Werke, 1. Abtheilung, 5. Band, Stuttgart/Augsburg 1859,
S. 736). Ähnliche Vorstellungen von einem Gesamtkunstwerk, das die frühere
Trennung der Künste aufheben sollte, entwickelten in der Frühromantik Nova-
lis, Schlegel und Tieck sowie dann noch ein von Wagner gern gelesener Autor:
E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung Der Dichter und der Komponist (1813).
Hierzu: Stefan Kunze: Der Kunstbegriff Richard Wagners, Regensburg 1983,
S. 98 ff.; Chung-Sun Kwon: Studie zur Idee des Gesamtkunstwerks in der Frühro-
mantik. Zur Utopie einer Musikanschauung von Wackenroder bis Schopenhauer,
Frankfurt a. M. 2003; vgl. auch Odo Marquard: Gesamtkunstwerk und Identitäts-
system. Überlegungen im Anschluß an Hegels Schellingkritik, in: Der Hang zum
Gesamtkunstwerk (Ausstellungskatalog), Aarau/Frankfurt a. M. 1983, S. 40 ff.
Die hier zu erörternde Textpartie aus GT, die auf Wagners Vorstellung des
Gesamtkunstwerks hin transparent sein soll, indem sie wie auch sonst analogi-
sierend den Bezug zum griechischen Theater herstellt, läßt besonders durch
ihre intensive Verquickung mit dem romantischen Symbolbegriff Affinitäten
zu einem berühmten Gedicht Baudelaires erkennen, der ebenfalls von E.T.A.
Hoffmanns romantischer Ästhetik fasziniert war: zu dem Sonett Correspondan-
ces aus den Fleurs du mal. Darin kommt in gesteigerter Form die romantische
Tendenz zu synästhetischen Wahrnehmungen in einem „foret de symboles“
programmatisch zum Ausdruck. N. allerdings intensiviert,dionysisch4 das Kon-
zept des Gesamtkunstwerks im Sinne Wagners, der nach maximalem „Aus-
druck“ strebte. N. spricht von der „Gesammtentfesselung aller symbolischen
Kräfte“. Sie steht im Horizont der vorher exponierten, letztlich von Schopen-
hauers „Willen“ inspirierten Vorstellung der „Natur“ als des allem Individuel-
len voraus liegenden Daseinsgrundes. N.s Behauptung, daß die „symbolischen
Kräfte“ der Musik „plötzlich ungestüm“ „wachsen“, hängt mit diesem Bezug
zur „Natur“ zusammen und ist mitbedingt durch das seit Herder verbreitete
organologische Denken und durch den Kult des Spontanen und Originalen,
der seit der Schöpfungsästhetik der Geniezeit im Schwange war und wie das
organologische Denken bei Wagner intensiv fortwirkte. Der rituell geregelte
Charakter des Dithyrambos bleibt dabei außer Acht.
Die Hervorhebung des „Symbolischen“ in N.s Darstellung der Körperspra-
che geht auch auf eine spezielle Form des Dithyrambos, den sogen, mimeti-
schen Dithyrambos zurück. N. hatte ihn in seiner Vorlesung über die griechi-
schen Lyriker von 1869 behandelt und dort einige Quellen genannt. Bernhardy,
Bd. 2, S. 441, weist auf die „Einführung mimischer Objekte“ hin, außerdem auf
die „Erfindung kleine[r] dramatische[r] Gemälde“ sowie auf „melodramatische
Bilder“, zu denen der Dithyrambos schließlich gelangt sei. Bernhardy zitiert
S. 443 die (pseudo-)aristotelischen Problemata 19, 15: päAAov ydp tw peAei
 
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