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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0164
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Stellenkommentar GT 3, KSA 1, S. 35-36 143

mismus“ der Griechen an exponierter Stelle: im Schlußkapitel zum zweiten
Band seiner Griechischen Kulturgeschichte, das den Titel trägt: Zur Gesamtbi-
lanz des griechischen Lebens.
35, 28 Jetzt öffnet sich uns gleichsam der olympische Zauberberg] Die Vorstel-
lung eines Zauberbergs, deren bekannteste literarische Gestaltung Thomas
Manns gleichnamiger Roman ist, geht auf die Romantik zurück und wurde in
der zeitgenössischen Literatur immer wieder aufgenommen: von Adalbert Stif-
ter in seiner Novelle Die Narrenburg (Studien, Bd. 1, 4. Auflage Pest 1855,
S. 320); von Ludwig Tieck in seiner Erzählung Das alte Buch und die Reise ins
Blaue hinein (Schriften, Bd. 24, Berlin 1853, S. 59); von Joseph von Eichendorff
in seiner Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands, 2. Teil (Paderborn
1857, S. 88); von Berthold Auerbach in seinem Roman Auf der Höhe (Bd. 3,
Stuttgart 1865, S. 365).
35, 33 f. jene über allen Erkenntnissen erbarmungslos thronende Moira] Moira
ist bei den Griechen das personifizierte Schicksal, das insbesondere als das
allen Menschen unausweichlich zugeteilte Todeslos aufgefaßt wurde.
35, 34-36, 4 jener Geier des grossen Menschenfreundes Prometheus, jenes
Schreckensloos des weisen Oedipus, jener Geschlechtsfluch der Atriden, der Orest
zum Muttermorde zwingt, kurz jene ganze Philosophie des Waldgottes, sammt
ihren mythischen Exempeln] N. projiziert diese „Philosophie“ des „Waldgottes“,
d. h. die zuvor zitierte Weisheit des Silen, in den übergreifenden Horizont von
Schopenhauers Leidens-Philosophie. Indem er die großen tragischen Gestalten
zu bloßen „Exempeln“ dieser „Philosophie“ macht, reduziert er sie auf eine
illustrative Funktion.
Prometheus, den Aischylos in seinem Drama ausdrücklich als „Menschen-
freund“ (Philänthropos) bezeichnet (V. 11; 28), wurde wegen seiner Menschen-
freundlichkeit von Zeus grausam bestraft. Sie zeigte sich am auffälligsten
darin, daß er den Menschen das Feuer als wertvolle Gabe vom Himmel auf die
Erde brachte. Zeus ließ ihn an den Felsen des Kaukasus schmieden und
schickte ihm einen Adler (N. macht aus ihm - gemäß dem damaligen Sprachge-
brauch - einen „Geier“), der ihm regelmäßig an der Leber fraß. Das „Schre-
ckensloos“ des Ödipus ist das von Apollon über ihn verhängte Schicksal, daß
er unwissend seinen Vater töten, seine Mutter heiraten und am Ende, als er
alles erkennt, sich selbst die Augen ausstechen und blind ins Elend gehen
muß. N. nennt ihn den „weisen“ Ödipus, weil Ödipus sein Königtum in Theben
durch seine Weisheit gewonnen hatte: Aufgrund seines Wissens verstand er
es, das Rätsel der Sphinx zu lösen, die von der Stadt Blutopfer forderte, solange
es nicht gelang, das Rätsel zu lösen. Nachdem Ödipus es gelöst hatte, stürzte
sich die Sphinx in den Abgrund. Im Drama heißt Ödipus immer wieder aus-
 
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