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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0310
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Stellenkommentar GT 14, KSA 1, S. 94 289

94, 21-95, 25 das optimistische Element im Wesen der Dialektik [...] in
diesen drei Grundformen des Optimismus liegt der Tod der Tragödie. [...] dieser
neuen sokratisch-optimistischen Bühnenwelt gegenüber [...] Die optimistische
Dialektik] Diese hier leitmotivisch durchgeführte Auseinandersetzung mit dem
Optimismus nimmt N. im folgenden 15. Kapitel wieder auf, wo er Sokrates „das
Urbild des theoretischen Optimisten“ nennt (100, 25 f.) und von dem „im Wesen
der Logik verborgenen Optimismus“ spricht (101, 21), um schließlich den
Umschlag der „in Sokrates vorbildlich erscheinende[n] Gier der unersättlichen
optimistischen Erkenntniss in tragische Resignation und Kunstbedürftigkeit“
zu betonen (102, 1-3). Der Versuch, den Optimismus mit Dialektik und Logik
und überhaupt mit „Erkenntniss“ zu verbinden sowie Sokrates als paradigma-
tischen Vertreter eines derartigen Optimismus auszugeben, ist von der Front-
stellung Schopenhauers bestimmt. Dieser wendet sich vom Standpunkt seiner
pessimistischen Weltanschauung gegen den „Optimismus“ und seine philoso-
phischen Hauptvertreter, insbesondere Leibniz. Dabei beruft sich Schopen-
hauer auf die Gegner eines solchen Optimismus, vor allem auf Voltaire sowie
auf zahlreiche antike und neuzeitliche Zeugnisse. Vgl. besonders Die Welt als
Wille und Vorstellung II, Viertes Buch, Kapitel 46: Von der Nichtigkeit und dem
Leiden des Lebens (Frauenstädt, Bd. 3, S. 665-675). Da N. mit Schopenhauer
die Tragödie aufgrund der Gleichsetzung des Tragischen mit dem Pessimisti-
schen als eine Hauptmanifestation der pessimistischen Weltanschauung ver-
steht, interpretiert er den Optimismus als ,Totengräber der Tragödie4. Auch
indem N. in der angeführten Stelle (102, 2) von der „optimistischen Erkennt-
niss“ spricht, knüpft er an Schopenhauer an. Dieser schreibt im Zuge seiner
Ausführungen über den Optimismus (Frauenstädt, Bd. 3, S. 665): „Daher eben
verlangt die Erklärung der Welt aus einem Anaxagorischen voüq, d. h. aus
einem von Erkenntniß geleiteten Willen, zu ihrer Beschönigung, nothwen-
dig den Optimismus, der alsdann, dem laut schreienden Zeugniß einer ganzen
Welt voll Elend zum Trotz, aufgestellt und verfochten wird“. Vgl. auch NK 100,
25 f. Daß N. seinen Angriff auf den erkenntnisgläubigen Optimismus speziell
gegen Dialektik und Logik richtet, ist auch als Attacke auf Schopenhauers
Hauptgegner Hegel zu verstehen, für den diese Formen des Denkens zentral
sind.
94, 21 f. denn wer vermöchte das optimistische Element im Wesen der Dia-
lektik zu verkennen] Den Optimismus schreibt N. in 101, 19-21 auch der Logik
zu. Beide Formen eines als spezifisch rationalistisch abgewerteten Philosophie-
rens, Dialektik und Logik, attackiert er noch schärfer und mit Berufung auf
sein „germanisches Bewußtsein“ in der Abhandlung Socrates und die Tragoe-
die, einer Vorstufe zu GT. Man hätte es nötig gehabt, schreibt N., „was man so
gar nicht besaß, jene sokratische Überlegenheit in der Unterredungskunst, in
 
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