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Schmidt, Jochen; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,1): Kommentar zu Nietzsches "Die Geburt der Tragödie" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70910#0429
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408 Die Geburt der Tragödie

Überschrift „Zum Schlüsse“: „Wiederherstellung des Mythus. / Die tragische
Weltanschauung. / Eine deutsche Wiedergeburt. / Zum Schluß an die ,Nibelun-
gen4 zu erinnern“ (NL 1871, KSA 7, 9[41], 287, 21-288, 7).
Der „deutsche Ritter“ wird immer transparenter auf den Helden Siegfried
in Wagners Opernzyklus Der Ring des Nibelungen (3. Teil: Siegfried). Wie andere
Märchen- und Sagenhelden überschreitet Siegfried die normalen menschlichen
Grenzen nicht nur durch seine riesenhafte Kraft, sondern auch durch seine
magische Naturnähe: er vermag die Stimme eines Waldvogels zu verstehen. In
einem Brief an Gustav Krug vom 4. August 1869 schreibt N.: „Alles was ich
nun aus dem ,Siegfried4 kenne, nach dem ersten Entwürfe, ist großartig conci-
pirt z. B. der Kampf Siegfrieds mit dem ,Wurm4, das Vogellied usw.“ (KSB 3,
Nr. 20, S. 37, Z. 27-30). Wagners Siegfried tötet den drachengestaltigen Riesen
Fafner (II, 3) und den Zwerg Mime (II, 4), um den Nibelungenschatz zu gewin-
nen, dann zerschlägt er, um zu Brünnhilde zu gelangen, den Speer des Götter-
vaters Wotan, der sich ihm entgegenstellt (III, 3): Damit beginnt die ,Götter-
dämmerung4. Ein Beispiel für N.s spätere Umdeutungsstrategien ist sein
Versuch, in Ecce homo (KSA 6, 310, 28-30) die „tückischen Zwerge“ als Meta-
pher für die „christlichen Priester“ zu interpretieren. Siegfried war auch für N.s
persönliche Beziehung zu Wagner von besonderer Bedeutung. Am 30. Dezem-
ber 1870 berichtete er an Mutter und Schwester stolz von den Weihnachtsge-
schenken Wagners für ihn, darunter „etwas ganz Einziges - das erste
Exemplar vom Klavierauszuge des »Siegfried4 erster Act, eben fertig
geworden, während noch ein Jahr vergehen kann, ehe der Klavierauszug dieses
Werkes in die Öffentlichkeit kommt“ (KSB 3, Nr. 116, S. 172, Z. 24-28).
154,14 Meine Freunde, ihr, die ihr an die dionysische Musik glaubt] Ein letzter
Anruf an die „Freunde“, an diejenigen, die „glauben“ und „hoffen“ (154, 21),
wie schon in 132, 10-19, hier ebenfalls in einem sich hymnisch steigernden
Schlußabschnitt.
154, 28 das schreckliche Weltbild] Wie es Schopenhauers „Wille“ repräsen-
tiert.
154, 29-32 beide spielen mit dem Stachel der Unlust, ihren überaus mächtigen
Zauberkünsten vertrauend; beide rechtfertigen durch dieses Spiel die Existenz
selbst der „schlechtesten Welt.“] Die Vorstellung der Rechtfertigung knüpft an
den kurz zuvor (152, 19 f.) noch einmal wiederholten Leitsatz der Tragödien-
schrift an, „dass nur als ein aesthetisches Phänomen das Dasein und die Welt
gerechtfertigt erscheint“. Zur Verbindung des Spiels mit der Sphäre des Ästheti-
schen vgl. schon 142, 28-34 und 152, 22-24 sowie den Kommentar hierzu. Leib-
niz hatte optimistisch die Welt als „die beste aller möglichen Welten“ bezeich-
net, ähnlich wie schon Platon im Demiurgen-Mythos seines Timaios. Dagegen
 
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