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Stellenkommentar GT 23-25, KSA 1, S. 153-155 409

hatte sich Schopenhauer in Bd. II der Welt als Wille und Vorstellung gewandt
(Viertes Buch, Kapitel 46: Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens,
S. 669): „Sogar aber läßt sich den handgreiflich sophistischen Beweisen Leib-
nitzens, daß diese Welt die beste unter den möglichen sei, ernstlich und
ehrlich der Beweis entgegenstellen, daß sie die schlechteste unter den
möglichen sei“. Im Anschluß an Schopenhauer spricht N. von der „schlechtes-
ten Welt“ und in fortbestehender Zustimmung sogar von einem „schreckli-
che[n] Weltbild“ (154, 28), das er aber im „Spiel“ ästhetisch aufgehoben sieht.
155, 4-8 Könnten wir uns eine Menschwerdung der Dissonanz denken - und
was ist sonst der Mensch? - so würde diese Dissonanz, um leben zu können,
eine herrliche Illusion brauchen, die ihr einen Schönheitsschleier über ihr eignes
Wesen decke.] Hier gipfelt die metaphorische Verwendung der „musikalischen
Dissonanz“, der in 152, 26-30 eine „wunderbare Bedeutung“, nämlich als (ana-
logisches) Deutungsmuster zur Deutung der Welt, und nunmehr zur Deutung
des Menschen zugeschrieben wird. Das besondere Interesse für die musikali-
sche „Dissonanz“ ergibt sich aus der Implementierung von Schopenhauers
Weltanschauung. Schopenhauer betont die innere Zerrissenheit der „Welt“ als
„Wille“. Aus der in 152, 27-30 aufgestellten Behauptung, daß „die Musik,
neben die Welt hingestellt, allein einen Begriff davon geben kann, was unter
der Rechtfertigung der Welt als eines aesthetischen Phänomens zu verstehen
ist“, geht hervor, daß es letztlich N.s Musik-Begriff ist, der den Begriff des
Ästhetischen selbst bestimmt.
155,13-15 Dabei darf von jenem Fundamente aller Existenz, von dem dionysi-
schen Untergründe der Welt, genau nur soviel dem menschlichen Individuum in’s
Bewusstsein treten] In 154, 2-4 ist noch nicht vom „Untergründe“, sondern von
einem unzugänglichen „Abgrunde“ die Rede.
155,17-19 so dass diese beiden Kunsttriebe ihre Kräfte in strenger wechselseiti-
ger Proportion, nach dem Gesetze ewiger Gerechtigkeit, zu entfalten genöthigt
sind.] Ringkompositorischer Abschluß der in der Anfangspartie exponierten
Rede von den „Kunsttrieben“ des Dionysischen und Apollinischen. Das „Gesetz
ewiger Gerechtigkeit“ im Sinne des ordnenden Ausgleichs und der Ausgewo-
genheit geht auf die griechische Vorstellung der Dike, aber auch der Moira
zurück, wie sie N. insbesondere bei Aischylos fand. Vgl. NK 68, 11 f.
155, 24 f. dies würde Jeder am sichersten, durch Intuition, nachempfinden] Wie-
derum ringkompositorisches Echo auf den programmatischen Anfang (25, 3f.):
„wenn wir nicht zur logischen Einsicht, sondern zur unmittelbaren Sicherheit
der Anschauung [= Intuition] gekommen sind“. Vgl. den ausführlichen Kom-
mentar zu dieser Stelle.
 
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