I Überblickskommentar
Vierzehn Jahre nach der Veröffentlichung der Geburt der Tragödie aus dem
Geiste der Musik blickt N. in diesem „Versuch“, den er der mit verkürztem Titel
versehenen Neuausgabe von 1886 vorausschickt, kritisch zurück. Er distanziert
sich von methodischen Unzulänglichkeiten, jugendlichem Überschwang und
den einst für ihn maßgebenden Autoritäten: von Schopenhauer und Wagner.
Noch mehr liegt ihm daran, in konzentrierter Form die aus der Perspektive
seiner späten Jahre wesentlichen Positionen ins Licht zu rücken. Dabei
erscheint die Frühschrift als eine zwar durch mancherlei Mängel beeinträch-
tigte, aber doch schon intuitiv zu fundamentalen neuen Einsichten vordrin-
gende Pionierleistung. Zugleich soll sich eine konzeptionelle Kontinuität zwi-
schen dem frühen und dem späten Werk abzeichnen. So versucht N. eine
schlüssige intellektuelle Autobiographie zu skizzieren. Manches Spätere proji-
ziert er auf die Frühphase zurück, vor allem die Angriffe auf „Moral“ und
Christentum, die erst mit den Aphorismen-Sammlungen Morgenröthe und Die
fröhliche Wissenschaft beginnen und sich in den Schriften Jenseits von Gut und
Böse und Zur Genealogie der Moral verschärfen. Am 29. August 1886 schreibt
er an seinen Verleger Ernst Wilhelm Fritzsch in Leipzig: „Dieser ,Versuch4,
zusammengehalten mit der ,Vorrede von Menschl. Allzumenschliches4, ergiebt
eine wahre Aufklärung über mich - und die allerbeste Vorbereitung für
meinen verwegenen Sohn Zarathustra“ (KSB 7, Nr. 740, S. 237, Z. 33-37).
Als Vorrede zur neuen Ausgabe der Geburt der Tragödie sollte dieser „Ver-
such“ eine ähnliche Funktion erfüllen wie die systematisch projektierten „Vor-
reden“, die N. in seinen letzten Jahren für eine ganze Reihe seiner früheren
Werke verfaßt. Er beabsichtigt darin nicht nur, diese Werke selbst klarer zu
konturieren und neue Aufmerksamkeit nach Jahren der Nichtbeachtung für sie
zu gewinnen; er will auch eine geistige Entwicklung markieren und insbeson-
dere alle Fluchtlinien auf Also sprach Zarathustra hin zeichnen. Nicht umsonst
zitiert er den Zarathustra auch am Ende des Versuchs einer Selbstkritik ausführ-
lich: als Erfüllungsziel. „Das Wesentliche ist“, schreibt er im gleichen Brief
an seinen Verleger, „daß, um die Voraussetzungen für das Verständniß des
Zarathustra zu haben [...] alle meine früheren Schriften ernstlich und tief
verstanden sein müssen; insgleichen die Nothwendigkeit der Aufeinander-
folge dieser Schriften und der in ihnen sich ausdrückenden Entwicklung. [...]
Im Dezember hoffe ich mit den ,Vorreden4 fortfahren zu können [...] Nehmen
wir an, daß bis zum Frühjahr meine ganze Litteratur, so weit sie in Ihren
Händen ist, zum neuen Fluge fertig und neu ,beflügelt4 ist. Denn diese Vorre-
den4 sollen Flügel sein!“ (KSB 7, Nr. 740, S. 237, Z. 23 u. S. 238, Z. 49).
Treffend charakterisiert N. die Ausgangspositionen für sein späteres Den-
ken, er verdeutlicht die durchgehenden Linien und auch den übergreifenden
Vierzehn Jahre nach der Veröffentlichung der Geburt der Tragödie aus dem
Geiste der Musik blickt N. in diesem „Versuch“, den er der mit verkürztem Titel
versehenen Neuausgabe von 1886 vorausschickt, kritisch zurück. Er distanziert
sich von methodischen Unzulänglichkeiten, jugendlichem Überschwang und
den einst für ihn maßgebenden Autoritäten: von Schopenhauer und Wagner.
Noch mehr liegt ihm daran, in konzentrierter Form die aus der Perspektive
seiner späten Jahre wesentlichen Positionen ins Licht zu rücken. Dabei
erscheint die Frühschrift als eine zwar durch mancherlei Mängel beeinträch-
tigte, aber doch schon intuitiv zu fundamentalen neuen Einsichten vordrin-
gende Pionierleistung. Zugleich soll sich eine konzeptionelle Kontinuität zwi-
schen dem frühen und dem späten Werk abzeichnen. So versucht N. eine
schlüssige intellektuelle Autobiographie zu skizzieren. Manches Spätere proji-
ziert er auf die Frühphase zurück, vor allem die Angriffe auf „Moral“ und
Christentum, die erst mit den Aphorismen-Sammlungen Morgenröthe und Die
fröhliche Wissenschaft beginnen und sich in den Schriften Jenseits von Gut und
Böse und Zur Genealogie der Moral verschärfen. Am 29. August 1886 schreibt
er an seinen Verleger Ernst Wilhelm Fritzsch in Leipzig: „Dieser ,Versuch4,
zusammengehalten mit der ,Vorrede von Menschl. Allzumenschliches4, ergiebt
eine wahre Aufklärung über mich - und die allerbeste Vorbereitung für
meinen verwegenen Sohn Zarathustra“ (KSB 7, Nr. 740, S. 237, Z. 33-37).
Als Vorrede zur neuen Ausgabe der Geburt der Tragödie sollte dieser „Ver-
such“ eine ähnliche Funktion erfüllen wie die systematisch projektierten „Vor-
reden“, die N. in seinen letzten Jahren für eine ganze Reihe seiner früheren
Werke verfaßt. Er beabsichtigt darin nicht nur, diese Werke selbst klarer zu
konturieren und neue Aufmerksamkeit nach Jahren der Nichtbeachtung für sie
zu gewinnen; er will auch eine geistige Entwicklung markieren und insbeson-
dere alle Fluchtlinien auf Also sprach Zarathustra hin zeichnen. Nicht umsonst
zitiert er den Zarathustra auch am Ende des Versuchs einer Selbstkritik ausführ-
lich: als Erfüllungsziel. „Das Wesentliche ist“, schreibt er im gleichen Brief
an seinen Verleger, „daß, um die Voraussetzungen für das Verständniß des
Zarathustra zu haben [...] alle meine früheren Schriften ernstlich und tief
verstanden sein müssen; insgleichen die Nothwendigkeit der Aufeinander-
folge dieser Schriften und der in ihnen sich ausdrückenden Entwicklung. [...]
Im Dezember hoffe ich mit den ,Vorreden4 fortfahren zu können [...] Nehmen
wir an, daß bis zum Frühjahr meine ganze Litteratur, so weit sie in Ihren
Händen ist, zum neuen Fluge fertig und neu ,beflügelt4 ist. Denn diese Vorre-
den4 sollen Flügel sein!“ (KSB 7, Nr. 740, S. 237, Z. 23 u. S. 238, Z. 49).
Treffend charakterisiert N. die Ausgangspositionen für sein späteres Den-
ken, er verdeutlicht die durchgehenden Linien und auch den übergreifenden