48 Die Geburt der Tragödie
Im Ganzen zeichnet sich in N.s Quellen-Benutzung eine deutliche Verlage-
rung der Schwerpunkte ab, die mit der Verlagerung der thematischen Schwer-
punkte zusammenhängt. In den ersten beiden Hauptteilen, die in den Kapiteln
1-15 die „Geburt“ und den Niedergang der griechischen Tragödie darstellen,
kommt den antiken und (nie genannten) altphilologischen Quellen besondere
Bedeutung zu. Im dritten Hauptteil, der in den Kapiteln 16-25 der „Wiederge-
burt der Tragödie“ bei Wagner gilt, häufen sich die Wagner-Bezüge bis hin zu
zahlreichen Zitaten, Anspielungen und Übernahmen von Leitvorstellungen aus
Wagners theoretischen Schriften, besonders aus der großen Abhandlung Oper
und Drama (N. nennt sie mehrmals explizit in seinen Briefen), sowie zu Aus-
führungen über einzelne seiner Musikdramen, so über Tristan und Isolde, und
zu Anspielungen auf den Ring des Nibelungen und die Meistersinger von Nürn-
berg. Zudem verdichten sich in diesem letzten Teil die kulturkritischen Ausein-
andersetzungen mit der Moderne, sodaß auch zahlreiche Beziehungen auf
andere Quellen hereinspielen. Konzeptionell und kategorial bestimmend blei-
ben aber auch hier Schopenhauer und Wagner.
Konzeption, Struktur und Stil
Schon im ersten Satz seines späteren Versuchs einer Selbstkritik bezeichnete
N. sein literarisches Debüt als „fragwürdig“ und alsbald nannte er es „ein
Erstlingswerk auch in jedem schlimmen Sinne des Wortes“, ja ein „unmögli-
ches Buch“ (KSA 1, 13). Er hatte es unter dem beherrschenden Eindruck von
Schopenhauers Philosophie und Wagners Ästhetik des „Gesamtkunstwerks“
verfaßt. Bereits der Titel der Erstauflage Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste
der Musik besteht aus Wagner-Formeln. Immer wieder beschwört Wagner in
seinen theoretischen Schriften geradezu formelhaft den „Geist der Musik“, und
er hat eine Vorliebe für die Geburtsmetapher (Belege im Einzelkommentar zum
Titel, S. 83). Von Wagner übernimmt N. vor allem den kulturreformatorischen
Anspruch. Bis in die Großstruktur seiner Schrift zeichnet er sich ab. Nach der
Einleitung über das Dionysische und das Apollinische - er übernahm diese
Begriffe und auch ihre Anwendung auf die Tragödie aus der wissenschaftlichen
Literatur (vgl. den Überblickskommentar zu den Quellen, S. 42 f., sowie den
detaillierten Einzel-Kommentar zu 25, 4-6) - entwickelt er in einem ersten Teil
die „Geburt“ der Tragödie (Kap. 1-10), in einem zweiten Teil (Kap. 11-15) stellt
er den Niedergang und den „Tod“ der Tragödie dar, um dann in einem dritten
Teil (Kap. 16-25) die moderne „Wiedergeburt der Tragödie“ durch Wagner
anzukündigen. Er selbst hat diese Gliederung in mehreren Schemata entworfen
(NL 1871/1872, KSA 7, 14[4], 14[5], 14[6], 376 f.). Damit eine „Wiedergeburt“, von
Im Ganzen zeichnet sich in N.s Quellen-Benutzung eine deutliche Verlage-
rung der Schwerpunkte ab, die mit der Verlagerung der thematischen Schwer-
punkte zusammenhängt. In den ersten beiden Hauptteilen, die in den Kapiteln
1-15 die „Geburt“ und den Niedergang der griechischen Tragödie darstellen,
kommt den antiken und (nie genannten) altphilologischen Quellen besondere
Bedeutung zu. Im dritten Hauptteil, der in den Kapiteln 16-25 der „Wiederge-
burt der Tragödie“ bei Wagner gilt, häufen sich die Wagner-Bezüge bis hin zu
zahlreichen Zitaten, Anspielungen und Übernahmen von Leitvorstellungen aus
Wagners theoretischen Schriften, besonders aus der großen Abhandlung Oper
und Drama (N. nennt sie mehrmals explizit in seinen Briefen), sowie zu Aus-
führungen über einzelne seiner Musikdramen, so über Tristan und Isolde, und
zu Anspielungen auf den Ring des Nibelungen und die Meistersinger von Nürn-
berg. Zudem verdichten sich in diesem letzten Teil die kulturkritischen Ausein-
andersetzungen mit der Moderne, sodaß auch zahlreiche Beziehungen auf
andere Quellen hereinspielen. Konzeptionell und kategorial bestimmend blei-
ben aber auch hier Schopenhauer und Wagner.
Konzeption, Struktur und Stil
Schon im ersten Satz seines späteren Versuchs einer Selbstkritik bezeichnete
N. sein literarisches Debüt als „fragwürdig“ und alsbald nannte er es „ein
Erstlingswerk auch in jedem schlimmen Sinne des Wortes“, ja ein „unmögli-
ches Buch“ (KSA 1, 13). Er hatte es unter dem beherrschenden Eindruck von
Schopenhauers Philosophie und Wagners Ästhetik des „Gesamtkunstwerks“
verfaßt. Bereits der Titel der Erstauflage Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste
der Musik besteht aus Wagner-Formeln. Immer wieder beschwört Wagner in
seinen theoretischen Schriften geradezu formelhaft den „Geist der Musik“, und
er hat eine Vorliebe für die Geburtsmetapher (Belege im Einzelkommentar zum
Titel, S. 83). Von Wagner übernimmt N. vor allem den kulturreformatorischen
Anspruch. Bis in die Großstruktur seiner Schrift zeichnet er sich ab. Nach der
Einleitung über das Dionysische und das Apollinische - er übernahm diese
Begriffe und auch ihre Anwendung auf die Tragödie aus der wissenschaftlichen
Literatur (vgl. den Überblickskommentar zu den Quellen, S. 42 f., sowie den
detaillierten Einzel-Kommentar zu 25, 4-6) - entwickelt er in einem ersten Teil
die „Geburt“ der Tragödie (Kap. 1-10), in einem zweiten Teil (Kap. 11-15) stellt
er den Niedergang und den „Tod“ der Tragödie dar, um dann in einem dritten
Teil (Kap. 16-25) die moderne „Wiedergeburt der Tragödie“ durch Wagner
anzukündigen. Er selbst hat diese Gliederung in mehreren Schemata entworfen
(NL 1871/1872, KSA 7, 14[4], 14[5], 14[6], 376 f.). Damit eine „Wiedergeburt“, von