Überblickskommentar, Kapitel 1.2: Vorstufen 19
letzten drei Notaten dieses Quartheftes reflektiert N. dann in ersten Ansätzen
bereits über UB II HL (vgl. NL 1873, TI [79-81], KSA 7, 610-611).
Einige der nachgelassenen Notate aus der Entstehungszeit von UB I DS zie-
len manchmal stärker als die dann publizierte Schrift auch auf prinzipielle phi-
losophische Probleme, die N. bei Strauß glaubt diagnostizieren zu können. Un-
ter diesem Aspekt erweisen sich die Anfangspartien der genannten Nachlass-
Notizen als besonders aufschlussreich. - Wie dezidiert N. schon in seinen Ent-
würfen über David Friedrich Strauß urteilt, erhellt exemplarisch aus folgenden
Aussagen: „Der Stil des Strauß beweist, daß er während eines langen Lebens
viel schlechte Bücher gelesen - ich meine vor allem die Schriften seiner
Gegner“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). Von den Konzepten zum Heiligen und
zum Genie angeregt, die Schopenhauer im Rahmen von Ethik und Ästhetik in
seinem Hauptwerk Die Weit als Wille und Vorstellung entfaltet, notiert N. über
Strauß: „Er hat am Christenthum das Beste vergessen, die großen Einsiedler
und Heiligen, kurz das Genie und urtheilt wie der Dorfpastor über die Kunst
[...]“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587).
Nicht nur gegen David Friedrich Strauß’ ANG polemisiert N. in diesen
nachgelassenen Notaten, sondern auch gegen sein frühes, für die zeitgenössi-
sche Theologie geradezu bahnbrechendes Buch Das Leben Jesu, kritisch bear-
beitet, wenn er erklärt: „Es war frech von Strauß, das Leben Jesu dem deut-
schen Volke zu bieten als ein Gegenstück zu dem viel größeren Renan: und
gar Voltaire hätte er nicht berühren dürfen“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). N.
beanstandet auch eine durch historische Verengung reduzierte Reichweite von
Strauß’ Werk Das Leben Jesu, wenn er erklärt: „Es ist ein lapsus von Strauß, ein
Leben Jesu zu geben. Er mußte sich auf die historische Arbeit beschränken. -
Dagegen durfte er jetzt das eigentl<ich> wahrhafte Christenthum, das Mönchs-
thum, nicht vergessen“ (NL 1873, TI [3], KSA 7, 588-589).
Von Prämissen der Kantischen Transzendentalphilosophie beeinflusst
zeigt sich N., wenn er Strauß’ Strategie kritisiert, „das Christenthum zu zerstö-
ren, in dem er Mythen nachweisen wollte. Aber das Wesen der Religion besteht
gerade darin, mythenbildende Kraft und Freiheit zu besitzen. Widersprüche
mit der Vernunft und der heutigen Wissenschaft sind sein Trumpf. Er ahnt
nichts von der fundamentalen Antinomie des Idealismus und von dem höchst
relativen Sinn aller Wissenschaft und Vernunft. Oder: gerade die Vernunft soll-
te ihm sagen, wie wenig durch die Vernunft über das Ansich der Dinge auszu-
machen ist“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). Ein Teil dieser Partie findet sich dann
auch in UB I DS (191, 4-8). Besonders radikal fällt N.s Verdikt zeitgleich in ei-
nem anderen Notat aus: „Was Strauß gegen die Antinomie der Unendlichkeit
sagt, ist furchtbar dumm. Er hat gar nicht begriffen, worum es sich handelt“
(NL 1873, TI [41], KSA 7, 599). Eine beschränkte intellektuelle Kapazität attes-
letzten drei Notaten dieses Quartheftes reflektiert N. dann in ersten Ansätzen
bereits über UB II HL (vgl. NL 1873, TI [79-81], KSA 7, 610-611).
Einige der nachgelassenen Notate aus der Entstehungszeit von UB I DS zie-
len manchmal stärker als die dann publizierte Schrift auch auf prinzipielle phi-
losophische Probleme, die N. bei Strauß glaubt diagnostizieren zu können. Un-
ter diesem Aspekt erweisen sich die Anfangspartien der genannten Nachlass-
Notizen als besonders aufschlussreich. - Wie dezidiert N. schon in seinen Ent-
würfen über David Friedrich Strauß urteilt, erhellt exemplarisch aus folgenden
Aussagen: „Der Stil des Strauß beweist, daß er während eines langen Lebens
viel schlechte Bücher gelesen - ich meine vor allem die Schriften seiner
Gegner“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). Von den Konzepten zum Heiligen und
zum Genie angeregt, die Schopenhauer im Rahmen von Ethik und Ästhetik in
seinem Hauptwerk Die Weit als Wille und Vorstellung entfaltet, notiert N. über
Strauß: „Er hat am Christenthum das Beste vergessen, die großen Einsiedler
und Heiligen, kurz das Genie und urtheilt wie der Dorfpastor über die Kunst
[...]“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587).
Nicht nur gegen David Friedrich Strauß’ ANG polemisiert N. in diesen
nachgelassenen Notaten, sondern auch gegen sein frühes, für die zeitgenössi-
sche Theologie geradezu bahnbrechendes Buch Das Leben Jesu, kritisch bear-
beitet, wenn er erklärt: „Es war frech von Strauß, das Leben Jesu dem deut-
schen Volke zu bieten als ein Gegenstück zu dem viel größeren Renan: und
gar Voltaire hätte er nicht berühren dürfen“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). N.
beanstandet auch eine durch historische Verengung reduzierte Reichweite von
Strauß’ Werk Das Leben Jesu, wenn er erklärt: „Es ist ein lapsus von Strauß, ein
Leben Jesu zu geben. Er mußte sich auf die historische Arbeit beschränken. -
Dagegen durfte er jetzt das eigentl<ich> wahrhafte Christenthum, das Mönchs-
thum, nicht vergessen“ (NL 1873, TI [3], KSA 7, 588-589).
Von Prämissen der Kantischen Transzendentalphilosophie beeinflusst
zeigt sich N., wenn er Strauß’ Strategie kritisiert, „das Christenthum zu zerstö-
ren, in dem er Mythen nachweisen wollte. Aber das Wesen der Religion besteht
gerade darin, mythenbildende Kraft und Freiheit zu besitzen. Widersprüche
mit der Vernunft und der heutigen Wissenschaft sind sein Trumpf. Er ahnt
nichts von der fundamentalen Antinomie des Idealismus und von dem höchst
relativen Sinn aller Wissenschaft und Vernunft. Oder: gerade die Vernunft soll-
te ihm sagen, wie wenig durch die Vernunft über das Ansich der Dinge auszu-
machen ist“ (NL 1873, TI [1], KSA 7, 587). Ein Teil dieser Partie findet sich dann
auch in UB I DS (191, 4-8). Besonders radikal fällt N.s Verdikt zeitgleich in ei-
nem anderen Notat aus: „Was Strauß gegen die Antinomie der Unendlichkeit
sagt, ist furchtbar dumm. Er hat gar nicht begriffen, worum es sich handelt“
(NL 1873, TI [41], KSA 7, 599). Eine beschränkte intellektuelle Kapazität attes-