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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,2): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0080
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54 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

benslehre das Christentum ebenfalls als Immanenzreligion dar: Der Menschheit
schreibt er hier gottmenschliche Attribute zu und substituiert die Vorstellung
eines Endgerichts durch die Imagination einer Vollendung der Welt in der
Geschichte. Die späteren Veröffentlichungen von Strauß erschienen eher als
,Parerga‘ von geringerer Bedeutsamkeit und Resonanz, so dass vor diesem Hin-
tergrund sein späteres Werk Der alte und der neue Glaube umso mehr Aufmerk-
samkeit fand.
Während der Revolution 1848/49 engagierte sich David Friedrich Strauß
politisch. In Ludwigsburg ließ er sich als liberaler Kandidat für die Frankfurter
Nationalversammlung nominieren. Bei der Wahl seinem konservativen Kon-
kurrenten unterlegen, wurde Strauß dann Abgeordneter im württembergischen
Parlament in Stuttgart, das er nach Konflikten sowohl mit Radikalen als auch
mit Konservativen über den von ihm selbst vertretenen gemäßigten bürgerli-
chen Liberalismus allerdings noch im selben Jahr wieder verließ. Nach dem
Revolutionsjahr 1848 trat Strauß vor allem als Verfasser von Biographien her-
vor, die sich u. a. auf den rebellischen schwäbischen Freiheitsdichter Schubart,
auf die Humanisten Frischlin und Hutten sowie auf die Aufklärer Reimarus
und Voltaire konzentrierten.
Grundlegende Veränderungen ergaben sich für David Friedrich Strauß wie
für andere zeitgenössische Liberale im Jahre 1861 durch die Thronbesteigung
Wilhelms I. in Berlin, die mit dem Ende der reaktionären Phase verbunden
war. In der Folgezeit erfuhr Strauß zusehends Anerkennung als repräsentativer
Autor, nachdem der Skandal, der den Beginn seiner theologischen Karriere
überschattet hatte, in Vergessenheit geraten war. Nach dieser politischen Wen-
de wurde der kritische Theologe David Friedrich Strauß erneut aktiv, indem
er weitere Bücher publizierte: Der Christus des Glaubens und der Jesus der
Geschichte. Eine Kritik des Schleiermacher’schen Lebens Jesu (1865) sowie Die
Halben und die Ganzen. Eine Streitschrift gegen die HH. DD. Schenkel und Hengs-
tenberg (1865). Mit diesen Werken griff Strauß die kompromisslerischen Ten-
denzen der Vermittlungstheologen an, die zwar dazu bereit waren, die histori-
sche Kritik als theologische Methode zu akzeptieren, aber inkonsequenterweise
dennoch auf die traditionelle Dogmatik der Theologie fixiert blieben.
In den 1860er Jahren begann David Friedrich Strauß seine theologischen
Hauptwerke Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835/36) und Die christliche
Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der mo-
dernen Wissenschaft dargestellt (1840/41) neu zu konzipieren, und zwar mit
dem Ziel, seine Bibel- und Dogmenkritik zu popularisieren. Indem Strauß eine
antiklerikale Reform des Christentums propagierte, setzte er sich für eine Hu-
manitätsreligion ohne Kirche ein. Fast drei Jahrzehnte nach dem Werk Das
Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835/36) erschien als modifizierte Textversion
 
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