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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0132
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106 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

des Wesens in sie, bilden, dieses unendliche Material und seine Regulierung
ist nicht Gegenstand der Philosophie“ (ebd., 25).
Wenig später lässt Hegel die Feststellung folgen: „Das was ist zu begreifen,
ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft“ (ebd., 26).
Er versteht „die Vernunft als das substantielle Wesen der sittlichen wie der
natürlichen Wirklichkeit; die bewußte Identität von beidem ist die philosophi-
sche Idee“ (ebd., 27). In der zeitlichen Dimension situiert Hegel das Verhältnis
zwischen Philosophie und Realität am Ende der Vorrede zu den Grundlinien
der Philosophie des Rechts (ebd.). Auf die berühmt gewordenen Aussagen im
vorletzten Absatz dieser Vorrede spielt N. vermutlich an, wenn er an „Hegel
das nichtswürdigste Grau“ kritisiert (NL 1873, TI [29], KSA 7, 595). Hegel situiert
die Philosophie mit suggestiver Metaphorik nämlich folgendermaßen im histo-
rischen Prozess der Selbstentfaltung des Geistes: „Als der Gedanke der Welt
erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß
vollendet und sich fertig gemacht hat. Dies, was der Begriff lehrt, zeigt notwen-
dig ebenso die Geschichte, daß erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale
dem Realen gegenüber erscheint und jenes sich dieselbe Welt, in ihrer Sub-
stanz erfaßt, in Gestalt eines intellektuellen Reichs erbaut. Wenn die Philoso-
phie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und
mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule
der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“ (ebd.,
28).
Wie nachhaltig N. David Friedrich Strauß durch Hegel geprägt sieht, zeigt
ein nachgelassenes Fragment aus der Entstehungszeit von UBI DS. Hier wen-
det sich N. polemisch gegen Hegel und den durch ihn ,infizierten4 Strauß: „Die
furchtbare Dilapidation der Hegelei! Auch wer sich zu retten verstand, wie
Strauß, ist nie wieder völlig zu kuriren. / Zwei Unglücksfälle hat Strauß erfah-
ren: einmal erfaßte ihn die Hegelei und machte ihn wirblicht, in einer Zeit, wo
ein ernster Philosoph ihm hätte Richtung geben müssen. Sodann kam er, durch
die Gegner, in den Wahn, seine Sache sei eine populäre und er selbst ein popu-
lärer Autor. In Folge dessen hat er nie aufhören können, Theolog zu sein, und
nie wieder anfangen dürfen, wieder strenger Jünger seiner Wissenschaft zu
sein. Nun hat er sich bemüht, Hegel und das Theologische möglichst zu beseiti-
gen: umsonst. Der erste zeigt sich in der platt optimistischen Weltbetrachtung
mit dem preußischen Staate als Zielpunkt der Weltgeschichte, das zweite in
den gereizten Invektiven gegen das Christenthum“ (NL 1873, TI [30], KSA 7,
595).
170, 31 - 171, 5 nur zweierlei: entweder Nachahmung der Wirklichkeit bis zum
Aefflschen, in Idyllen oder sanftmüthigen humoristischen Satiren, oder freie Copi-
en der anerkanntesten und berühmtesten Werke der Klassiker [...] Wenn er näm-
 
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