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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0176
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150 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

denz, die Strauß in radikaler Abkehr von Schopenhauer gleichwohl für seine
eigene These vom angeblich obligatorischen Optimismus der Philosophie be-
ansprucht, erweist sich als vordergründig und irreführend, auch weil er vor-
schnell eine Korrespondenz zwischen Weltessenz und Denkqualität voraus-
setzt.
Zu Recht kritisiert N. in UB I DS Strauß’ Argumentation als sophistisch (vgl.
192,14), allerdings ohne auch die logischen Defizite und den naiven Realismus
in seinem Gedankengang aufzuzeigen. - Wolfgang Weimer betont generell die
Fragwürdigkeit von Urteilen über die Totalität der Welt. Zudem exponiert er
eine von Kant angeregte transzendentalphilosophische Reflexion: Ein philoso-
phischer Standpunkt außerhalb der (durch das transzendentale Subjekt konsti-
tuierten) Welt sei keineswegs prinzipiell auszuschließen; vielmehr sei das
transzendentale Subjekt „kein Bestandteil der Welt, sondern Bedingung ihrer
Möglichkeit“ (Weimer 1992, 40). Ähnlich argumentiert später auch Sommer
1996, 199-210.
192, 3-7 Wenn diese Widerlegung Schopenhauers nicht eben das ist, was
Strauss einmal [...] eine „Widerlegung unter dem lauten Jubel der höheren Räu-
me“ nennt, so verstehe ich diese theatralische Wendung, deren er sich einmal
gegen einen Widersacher bedient, gar nicht.] Vgl. dazu Strauß’ ANG, Nachwort
als Vorwort, 19-20: „Man braucht es mit den Stößen nicht genau zu nehmen,
wo günstige Galerien die Kampfrichter sind. Mache ich z. B. an der Lehre Jesu
unter anderem die Ausstellung, daß sie den Erwerbstrieb, statt ihn durch Un-
terordnung unter höhere Zwecke zu veredeln, von vorne herein verwerfe, für
seine Wirksamkeit zur Förderung von Bildung und Humanität kein Verständnis
zeige, so braucht man ja nur mit Herrn Dove zu sagen, ich verlange von dem
Religionsstifter pecuniäre Rathschläge4, oder doch witziger von Jesu hoff-
nungsloser Unfähigkeit zum Börsengeschäft4 zu reden, und man hat mich un-
ter lautem Jubel der höheren Räume widerlegt.“ - Bei dem von N. hier (192, 7)
und an früherer Stelle (182, 17) erwähnten „Widersacher“ handelt es sich um
den von Strauß explizit genannten „Herrn Dove“, dem es Strauß - so N. in 182,
18-19 - „schwer übel genommen“ hat, „dass er von seinen Reverenzen vor
Lessing redet“. - Zu den Implikationen der Kontroverse zwischen Strauß und
seinem Kritiker Dove, zu dessen Person und zu den Gründen für N.s eigene
Kritik an Dove vgl. die detaillierteren Angaben in NK 182, 17-22.
192,14 die haltlosesten Sophismen sind gerade recht] Das Sophisma bzw. der
Sophismus (Plural: Sophismen) ist ein Trugschluss oder Scheinbeweis, der mit
einer Täuschungsabsicht einhergeht, also auf bewusste Irreführung zielt. Im
vorliegenden Kontext wirft N. Strauß einen sophistischen Gestus vor, der da-
rauf ziele, den metaphysischen Pessimismus Schopenhauers ohne eine ernst-
 
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