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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0229
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Stellenkommentar UB I DS 10, KSA 1, S. 217-218 203

eine problematische Tendenz, „ihre sehr gewöhnlichen Gedanken in die unge-
wöhnlichsten Ausdrücke, die gesuchtesten, preziösesten und seltsamsten Re-
densarten zu kleiden. Ihre Sätze schreiten beständig auf Stelzen einher“ (PP II,
Kap. 23, § 283, Hü 554).
Analoge Einschätzungen formuliert N. auch in UB III SE (vgl. NK 346, 31 -
347, 5 und NK 347, 31-32). N. betrachtet Schopenhauer als vorbildlich, weil er
„lehrte, einfach und e h r 1 i c h, im Denken und Leben, also unzeitgemäss zu
sein, das Wort im tiefsten Verstände genommen“ (346, 12-14). Daraus erhellt
der exemplarische Bezug zu N.s programmatischer Vorstellung des ,Unzeitge-
mäßen4, die für den Zyklus von UB I bis UB IV insgesamt von zentraler Bedeu-
tung ist.
217, 26-30 Niemand geht mit steifem Schritte auf unbekanntem und von tau-
send Abgründen unterbrochenem Wege: aber das Genie läuft behend und mit
verwegenen oder zierlichen Sprüngen auf einem solchen Pfade und verhöhnt das
sorgfältige und furchtsame Abmessen der Schritte.] In einem Nachlass-Notat fin-
det sich eine als Zitat gekennzeichnete Variante: „,Man geht nicht mit steifem
Tritte auf unbekannten und von tausend Abgründen unterbrochenen Wegen.4
Aber muß man denn affektiren zu tänzeln?“ (NL 1873, TI [45], KSA 7, 600). Die-
se Aussage findet sich in Claude Adrien Helvetius’ Diseurs über den Geist des
Menschen (1760), der zu N.s persönlicher Bibliothek gehörte (NPB 284). Vgl.
ebd., 630-631: „Würde unter den Magistratspersonen, die bisweilen zu sehr
auf die Untersuchung des Privatinteresse eingeschränkt sind, wohl eine seyn,
die mit besonderem Vorzüge einem der ersten Plätze vorstehen könnte, wenn
er nicht in geheim mit Studien, die dem Posten gemäß sind, den er bekleiden
dürfte, sich äußerst beschäfftiget? Der Mensch, welcher diese Studien zu trei-
ben unterläßt, wird nur zu seiner Schande in Aemter eingesetzt. Ist dieser
Mensch von steifem und despotischem Charakter, so werden die Unterneh-
mungen, die er veranlasset, hart, thöricht, und dem allgemeinen Besten alle-
zeit nachtheilig seyn. Ist er von leutseliger Gemüthsart und ein Freund des
gemeinen Besten, so wird er nichts zu unternehmen sich unterstehen. Wie soll-
te er auch wohl einige Veränderung in der Verwaltung des Staats wagen? Man
geht nicht mit steifem Tritte, auf unbekannten und von tausend Abgründen
unterbrochenen Wegen.“ Vgl. dazu den Quellennachweis von Antonio Moril-
las-Esteban und Jordi Morillas-Esteban, 2011a, 300.
218, 4-5 „leicht geschürzt und mit Absicht“, ja leichter geschürzt als sein Rous-
seau] Dieselben Formulierungen aus Strauß’ ANG zitiert N. bereits an früherer
Stelle: ,„Leicht geschürzt4 und zwar ,mit Absicht4, nennt aber Strauss sein Buch
selbst“ (213, 30-31). Vgl. dazu ANG, Nachwort als Vorwort, 6: „Dieß ist ein Be-
kenntniß, das keinem andern seine Stelle streitig machen, nur sich die seinige
 
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