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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0254
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228 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

auf das Schlagwort „Vernünftigkeit alles Wirklichen“ (170, 3-4) und sieht sich
von der „Hegelischen Anbetung des Wirklichen als des Vernünftigen“ (197, 7-
8) zur Kritik veranlasst. Damit bezieht sich N. auf eine zentrale Aussage in
der Vorrede zu Hegels Werk Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821). Zum
Kontext von Hegels These und zu N.s Missverständnis vgl. NK170, 3-4. Zu N.s
Kritik an Hegel und seinen Anhängern in UB III SE vgl. NK 365, 28-30; NK 374,
32 - 375, 1; NK 384, 24; NK 405, 14-16; NK 418, 24-30; NK 423, 25-26.
Mit seinen Vorbehalten gegen Hegels Philosophie und deren Anhänger
schließt N. an Schopenhauer an, der Hegel und die „Hegelianer“ wiederholt
heftig attackiert. Vgl. dazu außer Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille
und Vorstellung insbesondere seine Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie
(vgl. PP I, Hü 172-174, 179-180, 183-188, 190, 194), die wichtigste Quelle für
N.s Kritik an der akademischen Philosophie in UB III SE (vgl. dazu den Nach-
weis in Kapitel III.4 des Überblickskommentars zu UB III SE). N. adaptiert auch
den pejorativen Begriff „Hegelei“ (423, 26) von Schopenhauer (PP I, Hü 156,
157, 177, 178, 205), der Hegel in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie
als ,,plumpe[n] und ekelhafte[n] Scharlatan“ (PP I, Hü 179) sowie als „Unsinn-
schmierer und Kopfverderber“ diffamiert (PP I, Hü 190) und durch den Einfluss
der ,,absolute[n] Unsinnsphilosophie“ Hegels „unzählige Köpfe der gegenwär-
tigen Gelehrtengeneration [...] verdorben“ sieht (PP I, Hü 177).
228, 34 - 229, 3 „Aber Di meliora! Fort Pachydermata, fort! Dies ist die deut-
sche Sprache, in der Menschen sich ausgedrückt, ja, in der grosse Dichter gesun-
gen und grosse Denker geschrieben haben. Zurück mit den Tatzen!“] Der lateini-
sche Ausruf „Di meliora!“ bedeutet: „Das mögen die Götter verhüten!“ bzw.
„Da sei Gott vor!“ - Das aus dem Altgriechischen stammende Wort,Pachyder-
mata4 (von naxvq: dick und öcppa: Haut) bezeichnet Dickhäuter. Wie die einge-
deutschte Pluralform ,Pachydermen‘ fungiert es als zoologische Sammelbe-
zeichnung für Elefanten, Nashörner und Flusspferde. - N. zitiert hier eine
Aussage Schopenhauers, der den Begriff ,Pachydermata4 metaphorisch ver-
wendet, um Menschen ohne sprachliche Sensibilität zu charakterisieren. In sei-
nem Text „Ueber Schriftstellerei und Stil“, dem 23. Kapitel der Parerga und
Paralipomena II, schreibt Schopenhauer: „Edele Jetztzeit4, herrliche Epigonen,
bei der Muttermilch Hegel’scher Philosophie herangewachsenes Geschlecht!
Zum ewigen Andenken wollt ihr euere Tatzen in unsere alte Sprache drücken,
damit der Abdruck, als Ichnolith, die Spur eueres schaalen und dumpfen Da-
seyns auf immer bewahre. Aber Di meliora! Fort, Pachydermata, fort! Dies ist
die deutsche Sprache! in der Menschen sich ausgedrückt, ja, in der
große Dichter gesungen und große Denker geschrieben haben. Zurück mit den
Tatzen! - oder ihr sollt - hungern. (Dies allein schreckt sie.) -“ (PP II,
Kap. 23, § 283, Hü 575.) Wenn Schopenhauer die Sprache durch die groben Tat-
 
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