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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0553
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Stellenkommentar UB II HL 8, KSA 1, S. 304-306 527

auf Schillers Kommentar zu Goethes Werk bezogen haben. - Darüber hinaus
ist dem „memento mori“ allerdings ein spezifischer Bezug zum Christentum
inhärent, und zwar insofern, als der Kartäusergruß „memento mori“ eine
christliche Maxime formuliert; vgl. dazu Franz Overbecks Buch Ueber die
Christlichkeit unserer heutigen Theologie. Streit- und Friedensschrift (Overbeck:
Werke und Nachlaß, 1994-2010, Bd. 1, 216).
305,1-6 Das, was die Florentiner thaten, als sie unter dem Eindrücke der Büss-
predigten des Savonarola jene berühmten Opferbrände von Gemälden, Manu-
scripten, Spiegeln, Larven veranstalteten, das möchte das Christenthum mit jeder
Cultur thun, die zum Weiterstreben reizt und jenes memento vivere als Wahl-
spruch führt] Der italienische Dominikaner-Prior Girolamo Savonarola (1452-
1498) wollte zunächst eine Kloster- und Kirchenreform im Geiste der Propheten
des Alten Testaments durchführen. In Florenz, dem Zentrum einer üppig flo-
rierenden Renaissance-Kultur, predigte er strenge Buße und prophezeite ein
göttliches Strafgericht, das der Sturz der Medici-Herrschaft in Florenz dann
zunächst sogar zu bestätigen schien. Nach der Vertreibung des Fürstenge-
schlechts der Medici, das zwar die Künste sehr gefördert, aber zugleich auch
großen Wert auf prachtvolle Selbstinszenierung gelegt hatte, engagierte sich
Savonarola für die politische Neugestaltung in Florenz: Mit dem Ziel einer
theokratisch gefärbten Demokratie versuchte er das städtische Leben nach as-
ketischen Prinzipien zu reformieren und ein sittenstrenges Regiment einzufüh-
ren. So rief er Jesus Christus zum König von Florenz aus und verbot weltliche
Vergnügungen.
Durch seine Predigten fanatisierte Savonarola die Florentiner und veran-
lasste sie zu den Vernichtungsaktionen, an die N. im vorliegenden Kontext er-
innert: zur sogenannten Verbrennung der Eitelkeiten4, bei der Kunstgegenstän-
de und Luxusartikel in einem großen Autodafe vernichtet wurden. Durch
seinen radikalen Protest gegen den Sittenverfall am päpstlichen Hof geriet Sa-
vonarola schließlich in einen Konflikt mit Papst Alexander VI., der ihn 1497
exkommunizierte. Ein Jahr danach wurde Savonarola als angeblicher Häretiker
und Schismatiker gehängt und verbrannt. Aber bereits sechzig Jahre später
folgte seine Rehabilitierung durch die Kirche: Nun respektierte man seine theo-
logischen Vorstellungen und erkannte zugleich auch seine charismatische Be-
deutung an. Zur Biographie Savonarolas vgl. Pasquale Villaris zweibändiges
Werkln storia di Girolamo Savonarola e de’suoi tempi (1859-1861; Übersetzung
unter dem Titel Geschichte Girolamo Savonarola’s und seiner Zeit, 2 Bände,
1868).
306, 9-10 das Wissen muss seinen Stachel gegen sich selbst kehren] N. variiert
hier Worte, die Sophokles in seiner Tragödie König Ödipus den Seher Teiresias
 
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