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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0604
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578 Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben

Sein und Zeit die ,monumentalische Historie4 auf die Zukunft bezieht, die ,anti-
quarische Historie4 auf die Vergangenheit und die ,kritische Historie4 auf die
Gegenwart (vgl. Heidegger 1979, 396-397; dazu detaillierter der Heidegger-Ab-
schnitt in Kapitel IL8 zur Wirkungsgeschichte), assoziiert Lou Andreas-Salome
die ,antiquarische Historie4 mit N.s Philologen-Existenz, die ,monumentalische
Historie4 mit seiner Verehrung „großer Meister44 und die ,kritische Historie4 mit
seiner Zukunft in Gestalt der positivistischen Phase nach UBI-IV (vgl. Andreas-
Salome 1894, 67-68). Weitere Denkalternativen wurden darüber hinaus von
Hartmut Schröter, Margot Fleischer und Karl-Heinz Volkmann-Schluck ins
Spiel gebracht: Sie verbinden das Monumentalische, Antiquarische und Kriti-
sche gemäß N.s Typologie der Historie mit Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft
(Schröter 1982, 228) sowie mit Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit (Fleischer
1972, 77-78) und mit Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft (Volkmann-Schluck
1968, 21-22). Vgl. dazu Katrin Meyer (1998,155-156). Meyer denkt zugleich über
mögliche konkrete Vorbilder N.s nach: Während Overbeck für N. den kritischen
Historiker verkörpere, werde das Antiquarische für ihn durch Burckhardt (vgl.
ebd., 157) und durch Ritschi repräsentiert (vgl. ebd., 79). Da die Zeitlichkeit mit
ihren drei Modi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft allerdings den Histori-
entypen kategorial vorausgeht, sind in ihnen jeweils alle drei Zeitformen fest-
zustellen (vgl. ebd. 156). Eine andere Typologie schlägt Jörn Rüsen vor, der
ohne Rekurs auf N.s triadische Typologie der Historie zwischen vier „Typen des
historischen Erzählens“ differenziert: Ausgehend von der Prämisse, dass nicht
strikt zwischen „res factae“ und „res flctae“ unterschieden werden kann (Rü-
sen 1982b, 526), nennt und charakterisiert Rüsen das „traditionelle Erzählen“,
das „exemplarische Erzählen“, das „kritische Erzählen“ und das „genetische Er-
zählen“ (ebd., 537-539).
332, 34 - 333, 4 Der Delphische Gott ruft euch, gleich am Anfänge eurer Wande-
rung nach jenem Ziele, seinen Spruch entgegen „Erkenne dich selbst“. Es ist ein
schwerer Spruch: denn jener Gott „verbirgt nicht und verkündet nicht, sondern
zeigt nur hin“, wie Heraklit gesagt hat.] Das berühmte Orakel von Delphi war
dem Gott Apollo geweiht. An seinem Tempel befand sich der Spruch „Erkenne
dich selbst“ (yvcoOi aotvTov), der einem der,Sieben Weisen4 zugeschrieben wur-
de. Wie N. diese Maxime verstand, zeigt ein nachgelassenes Notat aus der Zeit,
in der er seine Historienschrift konzipierte: „Von sich selbst Besitz zu ergreifen,
das Chaotische zu organisiren, alle Furcht vor der , Bildung4 wegzuwerfen und
ehrlich zu sein: Aufforderung zum yvcüöi aotvTov, nicht im grüblerischen Sinne,
sondern um wirklich zu wissen, was unsre ächten Bedürfnisse sind. Von da
aus kühn bei Seite werfen, was fremd ist, und aus sich hinaus wachsen, nicht
in ein Ausser-uns sich hineinpassen“ (NL 1873, 29 [192], KSA 7, 708). - Vgl. das
Heraklit-Fragment 93 (Diels/Kranz): „ö otvo^, ov to potvTSiov ectti to ev AeA-
 
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