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Scheibenberger, Sarah; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,3): Kommentar zu Nietzsches "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" — Berlin, Boston: de Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69927#0025
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8 Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne

geknüpft. In WL führt die Frage „Was ist also Wahrheit?" (880, 30) zur Meta-
pher als exemplum und andeutenden Umschreibung eines allgemeinen Phäno-
mens hin, von dem die Sprache nur einen besonderen Aspekt darstellt (vgl. NK
879, 8-10).
Auch N.s frühe musiktheoretische Überlegungen, die noch im Zeichen der
Freundschaft zu Richard Wagner stehen, lassen sich als Vorbereitungen für WL
lesen. Bemerkenswert ist hier v. a. ein GT zugehörendes Fragment, welches die
Musik als Sprache, die „einer unendlichen Verdeutlichung fähig ist" (NL 1869/
70, KSA 7, 2[10], 47-48), der begrifflichen Sprache entgegenstellt und als Vor-
bild einer lebendigen tönenden Wortsprache begreift; sprachkritische Reflexio-
nen über das Wort als Symbolisierung von Vorstellungen stellt N. bereits im
GT vorbereitenden Fragment NL 1871, KSA 7, 12[1] an (vgl. Hödl 1997, 20-35;
vgl. NK 886, 14).
Demselben Gedankenkreis wie WL entstammt überdies die erste Vorrede
der Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen Büchern (CV), die im November ent-
stand und die N. Cosima Wagner Weihnachten 1872 zum Geschenk machte. Der
Text mit dem Titel Über das Pathos der Wahrheit (CV 1) enthält nahezu wortge-
treu die Eingangsfabel von WL und eine weitere Passage (vgl. NK 875, 2-11 u.
NK 877, 5-15). Dass N. in seiner ersten Niederschrift von WL ein „3." vor die uns
als Anfang von WL bekannte Passage notiert, mag damit zu erklären sein, dass
er die Fabel CV 1 ausgliedert, wo sich diese noch am Textende befindet.
Wenn auch sicherlich eine innere Kohärenz zwischen den angeführten wis-
senschaftskritischen, philologischen, philosophischen, sprachgenetischen und
musiktheoretischen Skizzen und Studien N.s festgestellt werden kann - der
Gedanke der Sprache als einer lebendigen Figuration etwa -, so lassen sich
diese letztlich sehr heterogenen Überlegungen doch kaum zu einem systemati-
schen Ganzen zusammenfügen. N. bündelt in WL einzelne theoretische Gedan-
ken verschiedenen Ursprungs zur Generalfrage nach einer dem Menschen zu-
gänglichen Wahrheit. Zugleich collagiert er Bilder und Argumentationsmuster,
die er oft wörtlich eigenen wie fremden Texten entnimmt und anhand derer
sich eine Art Genealogie von WL nachzeichnen lässt. WL ist also kein plötzli-
cher genialischer Wurf gewesen.
2 N.s werkspezifische Äußerungen
In den Jahren 1886/1887 schreibt N. Vorworte für die Neuauflagen seiner frühe-
ren Schriften. In der 1886 verfassten Vorrede zu MA II schreibt N., zum Zeit-
punkt der Niederschrift von UB III sei er „schon mitten in der moralistischen
Skepsis und Auflösung drin, das heisst ebenso sehr in der Kritik als
der Vertiefung alles bisherigen Pessimismus" gewesen, und er
 
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