X Vorwort
nahmen gravierend von seinen ursprünglichen Überzeugungen. In Ecce homo
depotenziert er die wichtigsten Leitfiguren seiner frühen Schaffensphase nach-
träglich zu bloßen Etappen der eigenen Entwicklung und suggeriert den Lesern
sogar, er habe in der dritten und vierten der Unzeitgemässen Betrachtungen gar
nicht von Schopenhauer und Wagner, sondern antizipatorisch allein von sich
selbst gesprochen (vgl. KSA 6, 320). Mit dieser emphatischen Selbststilisierung
zieht Nietzsche in Ecce homo Konsequenzen aus der Demontage der einstigen
Idole, mit der er ein Jahrzehnt zuvor bereits in Menschliches, Allzumenschliches
begonnen hatte.
Die vielfältigen aufschlussreichen Akzentverschiebungen, die sich im Über-
gang von Nietzsches anfänglicher Schopenhauer- und Wagner-Faszination zu
seinen späteren Ambivalenzen und massiven Vorbehalten gegenüber den frü-
heren Vorbildern abzeichnen, werden in den Überblickskommentaren zu Scho-
penhauer als Erzieher und Richard Wagner in Bayreuth dokumentiert. Dabei
treten auch Nietzsches Gründe für die spätere Revision der ursprünglichen Auf-
fassungen hervor, insbesondere für seine Abkehr von der schon in der Geburt
der Tragödie propagierten Kunstmetaphysik. Auf diese Weise kommen zu-
gleich ideologiekritische Aspekte zur Geltung. Im Zuge einer radikalen Neuori-
entierung entwickelt Nietzsche subversive Entlarvungsstrategien, mit denen er
die früheren Tendenzen zu idealistischen Überhöhungen und Sakralisierungen
der Kunst entschieden demontiert. Dabei distanziert er sich vom Kult des Ge-
nies und von der zuvor mit Richard Wagner verbundenen Utopie kultureller
Erneuerung. In den späten Anti-Wagner-Schriften nimmt Nietzsche die Selbst-
inszenierung des Komponisten und seine Wirkungsobsession sogar zum An-
lass für heftige Polemik.
In Schopenhauer als Erzieher hingegen propagiert Nietzsche die „Erzeu-
gung des Genius" sogar als „das Ziel aller Cultur" (KSA 1, 358, 386). Mit dieser
Programmatik verbindet er seine Kritik am zeitgenössischen Wissenschaftsbe-
trieb und Bildungssystem, die an Schopenhauers polemische Schrift Ueber die
Universitäts-Philosophie anschließt. In diesem Kontext betont Nietzsche die
produktive Gefährlichkeit echter Philosophen, um mit dem von ihnen reprä-
sentierten Ethos einer genuinen „Liebe zur Wahrheit" (KSA 1, 426-427) dann
satirisch den Habitus des bloßen Gelehrten zu kontrastieren (KSA 1, 394-400),
den fragwürdige Sekundärmotivationen antreiben. Im Vergleich mit einer sol-
chen Mentalität erscheint ihm Schopenhauer als vorbildlich, und zwar als Pa-
radigma autonomer Selbstentfaltung trotz aller äußeren Widerstände und da-
mit als unzeitgemäße Verkörperung eines ,heroischen Lebenslaufs' (KSA 1,
373).
An die Unzeitgemässen Betrachtungen schließt Nietzsche noch in seinem
Spätwerk Götzen-Dämmerung durch thematische Kontinuitäten an. Sie reichen
nahmen gravierend von seinen ursprünglichen Überzeugungen. In Ecce homo
depotenziert er die wichtigsten Leitfiguren seiner frühen Schaffensphase nach-
träglich zu bloßen Etappen der eigenen Entwicklung und suggeriert den Lesern
sogar, er habe in der dritten und vierten der Unzeitgemässen Betrachtungen gar
nicht von Schopenhauer und Wagner, sondern antizipatorisch allein von sich
selbst gesprochen (vgl. KSA 6, 320). Mit dieser emphatischen Selbststilisierung
zieht Nietzsche in Ecce homo Konsequenzen aus der Demontage der einstigen
Idole, mit der er ein Jahrzehnt zuvor bereits in Menschliches, Allzumenschliches
begonnen hatte.
Die vielfältigen aufschlussreichen Akzentverschiebungen, die sich im Über-
gang von Nietzsches anfänglicher Schopenhauer- und Wagner-Faszination zu
seinen späteren Ambivalenzen und massiven Vorbehalten gegenüber den frü-
heren Vorbildern abzeichnen, werden in den Überblickskommentaren zu Scho-
penhauer als Erzieher und Richard Wagner in Bayreuth dokumentiert. Dabei
treten auch Nietzsches Gründe für die spätere Revision der ursprünglichen Auf-
fassungen hervor, insbesondere für seine Abkehr von der schon in der Geburt
der Tragödie propagierten Kunstmetaphysik. Auf diese Weise kommen zu-
gleich ideologiekritische Aspekte zur Geltung. Im Zuge einer radikalen Neuori-
entierung entwickelt Nietzsche subversive Entlarvungsstrategien, mit denen er
die früheren Tendenzen zu idealistischen Überhöhungen und Sakralisierungen
der Kunst entschieden demontiert. Dabei distanziert er sich vom Kult des Ge-
nies und von der zuvor mit Richard Wagner verbundenen Utopie kultureller
Erneuerung. In den späten Anti-Wagner-Schriften nimmt Nietzsche die Selbst-
inszenierung des Komponisten und seine Wirkungsobsession sogar zum An-
lass für heftige Polemik.
In Schopenhauer als Erzieher hingegen propagiert Nietzsche die „Erzeu-
gung des Genius" sogar als „das Ziel aller Cultur" (KSA 1, 358, 386). Mit dieser
Programmatik verbindet er seine Kritik am zeitgenössischen Wissenschaftsbe-
trieb und Bildungssystem, die an Schopenhauers polemische Schrift Ueber die
Universitäts-Philosophie anschließt. In diesem Kontext betont Nietzsche die
produktive Gefährlichkeit echter Philosophen, um mit dem von ihnen reprä-
sentierten Ethos einer genuinen „Liebe zur Wahrheit" (KSA 1, 426-427) dann
satirisch den Habitus des bloßen Gelehrten zu kontrastieren (KSA 1, 394-400),
den fragwürdige Sekundärmotivationen antreiben. Im Vergleich mit einer sol-
chen Mentalität erscheint ihm Schopenhauer als vorbildlich, und zwar als Pa-
radigma autonomer Selbstentfaltung trotz aller äußeren Widerstände und da-
mit als unzeitgemäße Verkörperung eines ,heroischen Lebenslaufs' (KSA 1,
373).
An die Unzeitgemässen Betrachtungen schließt Nietzsche noch in seinem
Spätwerk Götzen-Dämmerung durch thematische Kontinuitäten an. Sie reichen