Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0030
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Überblickskommentar
III.1 Entstehungs- und Textgeschichte
N.s Schrift Schopenhauer als Erzieher [= UB III SE], die 1874 in Leipzig erstmals
publiziert wurde (KSA 1, 335-427), ist die dritte der dreizehn kulturkritischen
Schriften, die N. ursprünglich als ,unzeitgemäße' Betrachtungen plante. In ei-
nem nachgelassenen Fragment listet er dreizehn provisorische Titel auf: „Ent-
wurf der ,Unzeitgemässen Betrachtungen'. 1. Der Bildungsphilister. /
2. Geschichte. / 3. Philosoph. / 4. Gelehrte. / 5. Kunst. / 6. Lehrer. / 7. Religion. /
8. Staat Krieg Nation. / 9. Presse. / 10. Naturwissenschaft. / 11. Volk Gesell-
schaft. / 12. Verkehr. / 13. Sprache" (NL 1873-74, 30 [38], KSA 7, 744-745).
Humoristisch reflektiert N. die Ausgangskonstellation am 20. Mai 1874 in
einem Brief an Richard Wagner: „Ich habe ein ganzes Nest voll halbausgebrü-
teter Eier im Kopfe. Fruchtbarkeit verpflichtet, sagte die Katze als sie 13 Junge
warf" (KSB 4, Nr. 365, S. 230). Und am 25. Oktober 1874 teilt N. Malwida von
Meysenbug mit, er habe jetzt „drei von den 13 Betrachtungen fertig und die
vierte spukt im Kopfe; wie wird mir zu Muthe sein, wenn ich erst alles Negative
und Empörte, was in mir steckt, aus mir heraus gestellt habe, und doch darf
ich hoffen, in 5 Jahren ungefähr diesem herrlichen Ziele nahe zu sein! Schon
jetzt empfinde ich mit wahrem Dankgefühle, wie ich immer heller und schärfer
sehen lerne - geistig! (leider nicht leiblich!)" (KSB 4, Nr. 398, S. 268). Seine
Hoffnung, sich durch die Niederschrift der Unzeitgemässen Betrachtungen psy-
chisch zu entlasten, bringt N. in einem Brief an dieselbe Adressatin bereits am
4. April 1874 zum Ausdruck: „Nun wünschen Sie mir Kraft zu den noch übrigen
elf unzeitgemässen Betrachtungen. Ich will wenigstens einmal alles ausspre-
chen, was uns drückt; vielleicht fühlt man sich, nach dieser Generalbeichte,
etwas befreiter" (KSB 4, Nr. 357, S. 217). In diesem Sinne erscheint der Titel
symptomatisch, den N. schon 1873 für die letzte seiner geplanten dreizehn
Betrachtungen wählt: „Der Weg zur Freiheit. Dreizehnte Unzeitge-
mässe" (NL 1873, 29 [229], KSA 7, 722). Eine militante Variante seiner Hoffnung
auf Selbstbefreiung, die zugleich die psychologische Motivation für seinen kri-
tischen Impetus zu erkennen gibt, formuliert N. am 28. April 1874 im Brief an
Carl Fuchs: „ich habe mir durch meine 13 Unzeitgemässen, die ich hinter
einander herausgebe, eine gute Waffe geschmiedet, die ich den Leuten um die
Köpfe schlage, bis dabei etwas herauskommt. [...] Denn zuletzt leiden wir alle
so tief und schmerzlich, dass man es eben nur im rüstigsten Kämpfen aushält,
das Schwert in der Hand" (KSB 4, Nr. 360, S. 220-221).
Die Aufzeichnungen, die zur Basis von UB III SE wurden, stammen aus
dem Frühjahr 1874. In Briefen an seine Freunde Carl von Gersdorff und Erwin
https://d0i.org/10.1515/9783110677966-001
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften