10 Schopenhauer als Erzieher
Wenige Jahre später widmet N. in Ecce homo auch den Unzeitgemässen
Betrachtungen ein Kapitel (KSA 6, 316-321). In der Passage, in der er auf
UB III SE und UB IV WB eingeht (KSA 6, 319-321), schreibt er zunächst über die
Beziehung Platons zu Sokrates: „Dergestalt hat sich Plato des Sokrates bedient,
als einer Semiotik für Plato" (KSA 6, 320, 5-6). Mit dieser Korrelation zwischen
den beiden antiken Philosophen analogisiert N. sein eigenes Verhältnis zu
Schopenhauer, indem er UB III SE und UB IV WB folgendermaßen deutet:
„Jetzt, wo ich aus einiger Ferne auf jene Zustände zurückblicke, deren Zeugniss
diese Schriften sind, möchte ich nicht verleugnen, dass sie im Grunde bloss
von mir reden. Die Schrift ,Wagner in Bayreuth' ist eine Vision meiner Zukunft;
dagegen ist in ,Schopenhauer als Erzieher' meine innerste Geschichte, mein
Werden eingeschrieben. Vor Allem mein Gelöbniss!..." (KSA 6, 320, 6-12).
UB III SE erscheint damit als eine Antizipation der eigenen künftigen Entwick-
lung. Kurz zuvor behauptet N. im Rückblick auf UB III SE und UB IV WB, er
habe auf seinem Weg zu „welthistorischen Aufgaben" (KSA 6, 319, 30) „unzeit-
gemässe Typen par excellence" beschrieben: „Schopenhauer und Wagner
oder, mit Einem Wort, Nietzsche ..." (KSA 6, 317, 4-5).
Bereits einige Monate vor der Konzeption von Ecce homo äußert sich N. am
19. Februar 1888 in einem Brief an Georg Brandes folgendermaßen über
UB III SE und UB IV WB: „Die beiden Schriften über Schopenhauer und Ri-
chard Wagner stellen, wie mir heute scheint, mehr Selbstbekenntnisse, vor al-
lem Selbstgelöbnisse über mich dar als etwa eine wirkliche Psychologie
jener mir ebenso tief verwandten als antagonistischen Meister. (- ich war der
Erste, der aus Beiden eine Art Einheit destillirte: jetzt ist dieser Aberglaube
sehr im Vordergründe der deutschen Cultur: alle Wagnerianer sind Anhänger
Schopenhauers. Dies war anders als ich jung war: damals waren es die letzten
Hegelinge, die zu Wagner hielten, und ,Wagner und Hegel' lautete die Parole
in den fünfziger Jahren noch.)" (KSB 8, Nr. 997, S. 260).
Knapp zehn Monate später schreibt N. am 9. Dezember 1888 an Heinrich
Köselitz: „Über die dritte und vierte Unzeitgemäße werden Sie in Ecce
homo eine Entdeckung lesen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehn - mir stan-
den sie auch zu Berge. Beide reden nur von mir, anticipando... Weder Wag-
ner, noch Schopenhauer kamen psychologisch drin vor ... Ich habe beide
Schriften erst seit 14 Tagen verstanden" (KSB 8, Nr. 1181, S. 515). Und in ei-
nem Brief an den deutsch-amerikanischen Schriftsteller Karl Knortz erklärt N.
am 21. Juni 1888: „In ,Völker, Zeiten und Menschen' von Karl Hillebrand stehen
ein paar sehr gute Aufsätze über die ersten ,Unzeitgemäßen' [...]; die Schrift
über Schopenhauer, deren Lektüre ich besonders empfehle, zeigt, wie ein ener-
gischer und instinktiv jasagender Geist auch von einem Pessimisten die wohl-
thätigsten Impulse zu nehmen versteht" (KSB 8, Nr. 1050, S. 340).
Wenige Jahre später widmet N. in Ecce homo auch den Unzeitgemässen
Betrachtungen ein Kapitel (KSA 6, 316-321). In der Passage, in der er auf
UB III SE und UB IV WB eingeht (KSA 6, 319-321), schreibt er zunächst über die
Beziehung Platons zu Sokrates: „Dergestalt hat sich Plato des Sokrates bedient,
als einer Semiotik für Plato" (KSA 6, 320, 5-6). Mit dieser Korrelation zwischen
den beiden antiken Philosophen analogisiert N. sein eigenes Verhältnis zu
Schopenhauer, indem er UB III SE und UB IV WB folgendermaßen deutet:
„Jetzt, wo ich aus einiger Ferne auf jene Zustände zurückblicke, deren Zeugniss
diese Schriften sind, möchte ich nicht verleugnen, dass sie im Grunde bloss
von mir reden. Die Schrift ,Wagner in Bayreuth' ist eine Vision meiner Zukunft;
dagegen ist in ,Schopenhauer als Erzieher' meine innerste Geschichte, mein
Werden eingeschrieben. Vor Allem mein Gelöbniss!..." (KSA 6, 320, 6-12).
UB III SE erscheint damit als eine Antizipation der eigenen künftigen Entwick-
lung. Kurz zuvor behauptet N. im Rückblick auf UB III SE und UB IV WB, er
habe auf seinem Weg zu „welthistorischen Aufgaben" (KSA 6, 319, 30) „unzeit-
gemässe Typen par excellence" beschrieben: „Schopenhauer und Wagner
oder, mit Einem Wort, Nietzsche ..." (KSA 6, 317, 4-5).
Bereits einige Monate vor der Konzeption von Ecce homo äußert sich N. am
19. Februar 1888 in einem Brief an Georg Brandes folgendermaßen über
UB III SE und UB IV WB: „Die beiden Schriften über Schopenhauer und Ri-
chard Wagner stellen, wie mir heute scheint, mehr Selbstbekenntnisse, vor al-
lem Selbstgelöbnisse über mich dar als etwa eine wirkliche Psychologie
jener mir ebenso tief verwandten als antagonistischen Meister. (- ich war der
Erste, der aus Beiden eine Art Einheit destillirte: jetzt ist dieser Aberglaube
sehr im Vordergründe der deutschen Cultur: alle Wagnerianer sind Anhänger
Schopenhauers. Dies war anders als ich jung war: damals waren es die letzten
Hegelinge, die zu Wagner hielten, und ,Wagner und Hegel' lautete die Parole
in den fünfziger Jahren noch.)" (KSB 8, Nr. 997, S. 260).
Knapp zehn Monate später schreibt N. am 9. Dezember 1888 an Heinrich
Köselitz: „Über die dritte und vierte Unzeitgemäße werden Sie in Ecce
homo eine Entdeckung lesen, daß Ihnen die Haare zu Berge stehn - mir stan-
den sie auch zu Berge. Beide reden nur von mir, anticipando... Weder Wag-
ner, noch Schopenhauer kamen psychologisch drin vor ... Ich habe beide
Schriften erst seit 14 Tagen verstanden" (KSB 8, Nr. 1181, S. 515). Und in ei-
nem Brief an den deutsch-amerikanischen Schriftsteller Karl Knortz erklärt N.
am 21. Juni 1888: „In ,Völker, Zeiten und Menschen' von Karl Hillebrand stehen
ein paar sehr gute Aufsätze über die ersten ,Unzeitgemäßen' [...]; die Schrift
über Schopenhauer, deren Lektüre ich besonders empfehle, zeigt, wie ein ener-
gischer und instinktiv jasagender Geist auch von einem Pessimisten die wohl-
thätigsten Impulse zu nehmen versteht" (KSB 8, Nr. 1050, S. 340).