Überblickskommentar, Kapitel III.4: Quellen 23
Der Hauptunterschied im Duktus der beiden Abhandlungen besteht darin,
dass Schopenhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie fast
ausschließlich die akademische Philosophie kritisch ins Visier nimmt, wäh-
rend N. den Horizont seiner Reflexionen in Schopenhauer als Erzieher auf das
Feld der Kulturkritik ausdehnt. Von zentraler Bedeutung ist für N. „das Ziel der
Kultur" überhaupt (SE 400), die er vom „Staatswohle ziemlich unabhängig"
sieht (SE 365). Allerdings schließt er mit der von ihm propagierten „Erzeugung
des Genius" (SE 358, 386, 403) in Gestalt des Philosophen, Künstlers und Heili-
gen (vgl. SE 380) ebenfalls an Vorstellungen Schopenhauers an. Das Telos der
Menschheit sieht N. in ihren „werthvollsten Exemplare[n]" (SE 384), in denen
die Natur zur Vollendung gelange (SE 382, 384-386, 404). Sowohl bei Schopen-
hauer als auch bei N. lässt sich eine Tendenz zu anthropomorphen Beschrei-
bungen der ,Natur' feststellen (UP 168, 209; SE 378-379, 382, 404-406).
Die anthropologischen Prämissen Schopenhauers und N.s unterscheiden
sich jedoch voneinander: Am Ende seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philo-
sophie konstatiert Schopenhauer, die Bedeutung von „Erziehung und Bildung"
(UP 209) für die Entstehung ,echter' Philosophen werde oftmals auf Kosten der
entscheidenden genetischen Disposition überschätzt; zu Unrecht werde Bega-
bung als essentielles Fundament sogar von manchen geleugnet (UP 209). Aus-
drücklich setzt Schopenhauer den Primat der „angeborenen Talente" voraus
(UP 209); er meint, die Natur, nicht das Ministerium berufe zur Philosophie
(UP 193). N.s kulturkritisches Interesse hingegen ist von einem pädagogischen
Eros inspiriert, der sich offenkundig am Vorbild der Antike orientiert (SE 343-
345, 350) und auf eine Entfaltung des Individuums speziell durch Erziehung
und Bildung zielt (SE 341-343), um letztlich einen generellen Fortschritt der
Kultur zu ermöglichen (SE 380-387, 402; UP 169, 176, 182).
Allerdings finden sich auch einige Aussagen, in denen die Positionen kon-
vergieren: Eine Affinität zu Schopenhauers Einschätzung lässt N.s These erken-
nen, „der wahre Ursinn und Grundstoff" des Individuums sei „etwas durchaus
Unerziehbares und Unbildbares" (SE 341). Und obwohl Schopenhauer den Pri-
mat der Naturanlage betont (UP 209), betrachtet er die Lektüre „der selbsteige-
nen Werke wirklicher Philosophen" (UP 208) als ein wichtiges Stimulans auto-
nomer intellektueller Tätigkeit. Dieser Auffassung entsprechen nicht nur die
pädagogisch-anthropologischen Grundannahmen, die N. in UB III SE formu-
liert, sondern auch die konkreten Erfahrungen, die er selbst mit Schopenhauer
als Erzieher gemacht hat: durch die Lektüre seiner Werke (SE 341-350). In der
Beseitigung von Entwicklungsblockaden erblickt N. die zentrale Aufgabe der
„wahren Erzieher und Bildner" (SE 341). Und als Movens der weiteren kulturel-
len Entwicklung betrachtet er eine Konstellation, in der das „Ideal [...] uns er-
zieht, während es uns aufwärts zieht" (SE 376).
Der Hauptunterschied im Duktus der beiden Abhandlungen besteht darin,
dass Schopenhauer in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie fast
ausschließlich die akademische Philosophie kritisch ins Visier nimmt, wäh-
rend N. den Horizont seiner Reflexionen in Schopenhauer als Erzieher auf das
Feld der Kulturkritik ausdehnt. Von zentraler Bedeutung ist für N. „das Ziel der
Kultur" überhaupt (SE 400), die er vom „Staatswohle ziemlich unabhängig"
sieht (SE 365). Allerdings schließt er mit der von ihm propagierten „Erzeugung
des Genius" (SE 358, 386, 403) in Gestalt des Philosophen, Künstlers und Heili-
gen (vgl. SE 380) ebenfalls an Vorstellungen Schopenhauers an. Das Telos der
Menschheit sieht N. in ihren „werthvollsten Exemplare[n]" (SE 384), in denen
die Natur zur Vollendung gelange (SE 382, 384-386, 404). Sowohl bei Schopen-
hauer als auch bei N. lässt sich eine Tendenz zu anthropomorphen Beschrei-
bungen der ,Natur' feststellen (UP 168, 209; SE 378-379, 382, 404-406).
Die anthropologischen Prämissen Schopenhauers und N.s unterscheiden
sich jedoch voneinander: Am Ende seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philo-
sophie konstatiert Schopenhauer, die Bedeutung von „Erziehung und Bildung"
(UP 209) für die Entstehung ,echter' Philosophen werde oftmals auf Kosten der
entscheidenden genetischen Disposition überschätzt; zu Unrecht werde Bega-
bung als essentielles Fundament sogar von manchen geleugnet (UP 209). Aus-
drücklich setzt Schopenhauer den Primat der „angeborenen Talente" voraus
(UP 209); er meint, die Natur, nicht das Ministerium berufe zur Philosophie
(UP 193). N.s kulturkritisches Interesse hingegen ist von einem pädagogischen
Eros inspiriert, der sich offenkundig am Vorbild der Antike orientiert (SE 343-
345, 350) und auf eine Entfaltung des Individuums speziell durch Erziehung
und Bildung zielt (SE 341-343), um letztlich einen generellen Fortschritt der
Kultur zu ermöglichen (SE 380-387, 402; UP 169, 176, 182).
Allerdings finden sich auch einige Aussagen, in denen die Positionen kon-
vergieren: Eine Affinität zu Schopenhauers Einschätzung lässt N.s These erken-
nen, „der wahre Ursinn und Grundstoff" des Individuums sei „etwas durchaus
Unerziehbares und Unbildbares" (SE 341). Und obwohl Schopenhauer den Pri-
mat der Naturanlage betont (UP 209), betrachtet er die Lektüre „der selbsteige-
nen Werke wirklicher Philosophen" (UP 208) als ein wichtiges Stimulans auto-
nomer intellektueller Tätigkeit. Dieser Auffassung entsprechen nicht nur die
pädagogisch-anthropologischen Grundannahmen, die N. in UB III SE formu-
liert, sondern auch die konkreten Erfahrungen, die er selbst mit Schopenhauer
als Erzieher gemacht hat: durch die Lektüre seiner Werke (SE 341-350). In der
Beseitigung von Entwicklungsblockaden erblickt N. die zentrale Aufgabe der
„wahren Erzieher und Bildner" (SE 341). Und als Movens der weiteren kulturel-
len Entwicklung betrachtet er eine Konstellation, in der das „Ideal [...] uns er-
zieht, während es uns aufwärts zieht" (SE 376).