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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0054
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Überblickskommentar, Kapitel III.4: Quellen 27

408, 410, 416-417). Von einem geistesaristokratischen Standpunkt aus (UP 189,
209; SE 403, 412) stellen beide Autoren den bloßen „Spaaßphilosophen"
(UP 169, 167, 183; SE 365, 349) mit ihrem eitlen Imponiergehabe (UP 162) die
Ernsthaftigkeit (UP 169, 176) der originellen „Selbstdenker" (UP 161, 163, 170,
208; SE 346-347) und „freien Geister" (SE 407) gegenüber. Diese seien dazu
imstande, eine „zusammenhängende Grundansicht von [...] der Welt" zu ver-
mitteln (UP 170; SE 356), statt lediglich fremde Konzepte miteinander zu ver-
gleichen (UP 171; SE 410, 416). So könnten sie ihre Leser zu selbständigem Den-
ken animieren (UP 208; SE 397, 404, 406, 417).
Schopenhauer und N. kritisieren die „gelehrtenhafte Katheder-Weisheit"
(SE 426) sowie die (schon in der traditionellen Gelehrtensatire topisch fixierte)
„Scharlatanerie" (UP 194) und den bewusst als Strategie zur Verschleierung
geistiger Substanzlosigkeit eingesetzten Obskurantismus (UP 172, 173, 186;
SE 419, 425) philosophischer Philister (UP 158, 164, 177; SE 352, 370, 371, 401),
die mit preziösen und abstrakten Phrasen imponieren wollen (UP 170, 173, 175,
177) und mit „Flausen" (UP 170; SE 371), „Jargon" und „Bombast" (UP 169, 177)
bloß ihre Gedankenarmut zu kaschieren suchen (UP 169, 172, 175, 179). Den
Kontrast dazu bilden Klarheit, Redlichkeit (UP 202, 204; SE 348), Originalität,
Objektivität (UP 181, 182, 204) und „Besonnenheit" (UP 181; SE 377) der seriö-
sen Philosophen. Für Schopenhauer repräsentiert gerade Kant diesen Typus
auf ideale Weise (UP 181-182). Als nur selten vorkommende Heroen (UP 189;
SE 372-374, 403, 426) des Geistes stehen die ,echten' Philosophen der großen
„Masse" (SE 338, 384) als der bloßen „Fabrikwaare der Natur" (UP 209, 189;
SE 338) diametral gegenüber.
Für die Decadence-Diagnose im Rahmen seiner Kulturkritik setzt N. schon
in UB III SE die Krankheitsmetaphorik ein (SE 362, 389, 392, 400), die später
zum Charakteristikum vor allem seiner Anti-Wagner-Schriften wird. Jahrzehnte
zuvor antizipiert Schopenhauer Aspekte des Pathologischen bereits in seiner
Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie. Die intellektuellen Defizite zeitge-
nössischer Philosophen und die desaströsen Konsequenzen ihrer Lehrtätigkeit
für eine ganze „Gelehrtengeneration" beschreibt er hier mit einem pejorativ
aufgeladenen medizinischen Vokabular: Schopenhauer meint die „jüngeren
Gelehrten heut zu Tage", die „keines gesunden Gedankens [...] mehr fähig"
seien (UP 178), als „geistig entnervt" (UP 177) bezeichnen zu können, weil sie
„von der Hegelei, gleich wie von der Franzosenkrankheit [sc. Syphilis], inficirt"
worden seien (UP 178). Außerdem betrachtet er sie als „kastrirt am Geiste"
(UP 179, 177) oder sogar als „völlig paralysirt" (UP 185). N. übernimmt auch
die Kastrationsmetapher für UB III SE: Die auf bestimmte Unterrichtsstunden
festgelegten philosophischen Lehrveranstaltungen bezeichnet er bildhaft-kon-
kret als Konsequenzen eines Denkens, das, „seiner herrlichsten Freiheit" be-
 
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