28 Schopenhauer als Erzieher
raubt, dem Ruf des „Genius zu folgen", „von vornherein gleichsam entmannt"
sei (SE 416).
Vor N. diagnostiziert auch Schopenhauer bereits Decadence-Symptome: Er
betrachtet die „Hegelei" (UP 156, 157, 177, 178, 205; SE 423), die große „Hegel-
Farce" (UP 156), als die fatale „Ursache der ganzen Degradation der Philoso-
phie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt, wäh-
rend der letzten 30 Jahre" (UP 184). Nach N.s Auffassung ist die „Hegelei"
durch leere Versprechungen und die Sterilität ihrer Vertreter selbst schon obso-
let geworden (SE 423). Insgesamt fällt das Urteil N.s über die kulturelle Deca-
dence differenzierter aus als dasjenige Schopenhauers: Schon in der Geburt
der Tragödie, vor allem aber in den Unzeitgemässen Betrachtungen (insbeson-
dere in UB II HL) führt N. die kulturelle Krisensituation seiner Epoche generell
und die Problematik der Universitätsphilosophie speziell (SE 418) auf das zeit-
genössische Epigonensyndrom zurück. (Vgl. dazu ausführlich NK 344, 31-34.)
Divergenzen zwischen Schopenhauer und N. zeichnen sich im Hinblick auf
den in UP und SE entfalteten Horizont der Epoche ab: Schopenhauer argumen-
tiert für die Bedeutung der Philosophie vor allem damit, dass die „herrschende
Philosophie einer Zeit" (UP 184) zugleich die „Denkungsart" der gesamten Epo-
che begründe (UP 166, 188). Deshalb wirke sich jede nachhaltige Depravation
der Philosophie entsprechend negativ auf „die Bildung des Zeitalters" aus
(UP 184, 166, 177). N. formuliert zwar punktuell ähnliche Einschätzungen
(SE 366, 362), propagiert aber - dem Obertitel seiner UB gemäß - zumeist mit
Nachdruck einen unzeitgemäßen Denkhabitus (SE 361-363, 425), der die defizi-
tären Epochenphänomene gerade transzendieren soll (SE 361-363).
Anders als Schopenhauer, der seine radikale Kritik ausführlich formuliert
und sie konkret gegen den durch Fichte, Schelling und Hegel repräsentierten
nachkantischen Idealismus insgesamt richtet, polemisiert N. nur punktuell ge-
gen einzelne problematische Vertreter der Universitätsphilosophie seiner Epo-
che (SE 365, 417). In Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie
fällt auf, dass er seine Ressentiments geradezu zelebriert und den Einfluss sei-
nes Hauptgegners Hegel dabei ebenso übertreibt wie die Macht der von ihm
inaugurierten „Hegelschen Schule" (UP 186): Schopenhauer meint sogar, das
„Geistesleben der Menschheit" (UP 186) werde nachhaltig geschädigt, wenn
man den „ekelhaften Hegeljargon" kultiviert (UP 186, 177, 184, 188) und
„ein[en] Alltagskopf" wie „Hegel als das größte Genie", als den dauerhaften
Zenit der Philosophie „proklamirt" (UP 186-187). Die „Folge eines solchen
Hochverraths am Edelsten der Menschheit" (UP 187) erblickt Schopenhauer in
der begrifflichen Diffusion sowie in der vollständigen „Desorientation und Des-
organisation der Philosophie" (UP 187), die zwangsläufig eine Depravation bis
zum „Materialismus und Bestialismus" nach sich ziehe (UP 187). Mit diesen
raubt, dem Ruf des „Genius zu folgen", „von vornherein gleichsam entmannt"
sei (SE 416).
Vor N. diagnostiziert auch Schopenhauer bereits Decadence-Symptome: Er
betrachtet die „Hegelei" (UP 156, 157, 177, 178, 205; SE 423), die große „Hegel-
Farce" (UP 156), als die fatale „Ursache der ganzen Degradation der Philoso-
phie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt, wäh-
rend der letzten 30 Jahre" (UP 184). Nach N.s Auffassung ist die „Hegelei"
durch leere Versprechungen und die Sterilität ihrer Vertreter selbst schon obso-
let geworden (SE 423). Insgesamt fällt das Urteil N.s über die kulturelle Deca-
dence differenzierter aus als dasjenige Schopenhauers: Schon in der Geburt
der Tragödie, vor allem aber in den Unzeitgemässen Betrachtungen (insbeson-
dere in UB II HL) führt N. die kulturelle Krisensituation seiner Epoche generell
und die Problematik der Universitätsphilosophie speziell (SE 418) auf das zeit-
genössische Epigonensyndrom zurück. (Vgl. dazu ausführlich NK 344, 31-34.)
Divergenzen zwischen Schopenhauer und N. zeichnen sich im Hinblick auf
den in UP und SE entfalteten Horizont der Epoche ab: Schopenhauer argumen-
tiert für die Bedeutung der Philosophie vor allem damit, dass die „herrschende
Philosophie einer Zeit" (UP 184) zugleich die „Denkungsart" der gesamten Epo-
che begründe (UP 166, 188). Deshalb wirke sich jede nachhaltige Depravation
der Philosophie entsprechend negativ auf „die Bildung des Zeitalters" aus
(UP 184, 166, 177). N. formuliert zwar punktuell ähnliche Einschätzungen
(SE 366, 362), propagiert aber - dem Obertitel seiner UB gemäß - zumeist mit
Nachdruck einen unzeitgemäßen Denkhabitus (SE 361-363, 425), der die defizi-
tären Epochenphänomene gerade transzendieren soll (SE 361-363).
Anders als Schopenhauer, der seine radikale Kritik ausführlich formuliert
und sie konkret gegen den durch Fichte, Schelling und Hegel repräsentierten
nachkantischen Idealismus insgesamt richtet, polemisiert N. nur punktuell ge-
gen einzelne problematische Vertreter der Universitätsphilosophie seiner Epo-
che (SE 365, 417). In Schopenhauers Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie
fällt auf, dass er seine Ressentiments geradezu zelebriert und den Einfluss sei-
nes Hauptgegners Hegel dabei ebenso übertreibt wie die Macht der von ihm
inaugurierten „Hegelschen Schule" (UP 186): Schopenhauer meint sogar, das
„Geistesleben der Menschheit" (UP 186) werde nachhaltig geschädigt, wenn
man den „ekelhaften Hegeljargon" kultiviert (UP 186, 177, 184, 188) und
„ein[en] Alltagskopf" wie „Hegel als das größte Genie", als den dauerhaften
Zenit der Philosophie „proklamirt" (UP 186-187). Die „Folge eines solchen
Hochverraths am Edelsten der Menschheit" (UP 187) erblickt Schopenhauer in
der begrifflichen Diffusion sowie in der vollständigen „Desorientation und Des-
organisation der Philosophie" (UP 187), die zwangsläufig eine Depravation bis
zum „Materialismus und Bestialismus" nach sich ziehe (UP 187). Mit diesen