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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0060
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Überblickskommentar, Kapitel III.5: Struktur 33

Dieser Gefahr entgehe der von Schopenhauer entworfene Idealtypus eines
Menschen, der „das freiwillige Leiden der Wahrhaftigkeit auf
sich" nehme (371) und - so N. in direktem Anschluss an Thesen Schopenhau-
ers - durch die Verneinung seines Eigenwillens eine „Umkehrung seines We-
sens" vorbereite (371). Von bloßer Negativität grenzt N. dieses Konzept mit der
Begründung ab, dass es von „Sehnsucht nach Heiligung und Errettung" (372)
motiviert sei, die sich mit einer Bereitschaft zu metaphysischer Bejahung in
der Erfahrung des Leidens verbinde (372). Ein „heroischer Lebenslauf"
(373) im Sinne Schopenhauers erscheint demgemäß als Maximum des Men-
schenmöglichen für die Individuen, die sich durch Leiden und Kampf ihrer
selbst bewusst werden, schließlich in einer Haltung der Gelassenheit bis auf
den Grund der Dinge sehen und sich dabei ohne Rücksicht auf pragmatischen
Nutzen den existentiellen Fragen stellen (375). Dieses von Idealismus getrage-
ne Wahrhaftigkeitsethos kontrastiert N. mit der verlogenen ,Komödie' derer,
die sich an Zerstreuung und Selbstbetrug verlieren, weil sie das Leben und
seine Anforderungen nicht spüren wollen (374).
5.
Angesichts der Gefahr einer „beschauliche[n] Faulheit" (377) versucht N. im
5. Kapitel (375-383) zu zeigen, wie Schopenhauers Ideal des Menschen erziehe-
risch wirken kann, indem es „uns aufwärts zieht" (376). Auf der Suche nach
„erfüllbaren Pflichten" (377) adaptiert er nicht nur Schopenhauers Mitleidspos-
tulat. Vielmehr lässt er auch in seiner Vorstellung vom Menschen als „Spiegel"
der Natur (378) zum Zweck ihrer (Selbst)Erkenntnis (382) markante Affinitäten
zu Schopenhauers Philosophie erkennen. Die rastlose, von quälenden Begier-
den und fortwährendem Kampf bestimmte animalische Existenz ist von „sinn-
lose[m] Leiden" erfüllt (377) und erfasst auch die Menschen, die N. als die
durch Bewusstsein „verfeinerten Raubthiere" beschreibt (378).
Eine solche conditio humana kontrastiert N. mit Schopenhauers Ideal der
Besonnenheit und Gelassenheit sowie mit dessen Utopie der „Erlösung" (378,
380). Statt vor seiner „eigentlichen Aufgabe" (379) in besinnungslose Selbst-
vergessenheit und Geselligkeit zu fliehen und durch Zerstreuung die Chance
zur „Verinnerlichung" zu verpassen (379), solle sich der Mensch bewusst auf
das kulturschöpferische Ziel konzentrieren, „die Erzeugung des Philo-
sophen, des Künstlers und des Heiligen" zu fördern (382), also Exis-
tenzformen, die über die Dimension des bloß Tierischen hinausreichen (380).
Ein Ungenügen an sich selbst habe zwar Pessimismus und Selbsthass zur Fol-
ge, wecke zugleich aber auch eine „Sehnsucht nach Kultur" (383). Indem sich
der Mensch aktiv für die Kultur engagiere, arbeite er an der „Vollendung
 
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