40 Schopenhauer als Erzieher
mich das bis zu Thränen Ergreifende Ihrer Schrift, ist die Schilderung der drei Gefahren
in welche<n> der Genius schwebt [...], und wenn Sie behaupten an der deutschen Sprache
keine Freude zu haben, so bestraft Sie die Edle grossherzig, indem Sie Ihnen eine Persua-
sion und Eindringlichkeit verleiht, welche Ihnen keine andere Sprache auf diesem Gebiete
gewähren würde. [...] Heil Ihnen, mein Freund, dass Sie das innerste Wesen des Genius
so ergründen konnten, und aus dem Schacht der Erkenntniss den Hort an das Tageslicht
bringen [...]. Eine einzige Bezeichnung hätte ich anders gewünscht, ich hätte Trägheit
lieber als Faulheit gelesen [vgl. KSA 1, 337, 5], weil ich mit Faulheit den Begriff der Verwe-
sung [...] nicht den der Schwerfälligkeit verbinde [...], in keiner der vorangegangenen
Schriften, haben Sie, dünkt mich, Stoff und Form so vollkommen bemeistert, und in Folge
dessen wirkt Ihr Witz und Ihr Humor so frei und so erquickend hier. Auch diese Schrift ist
heiter wie Sie das vom Werke Schopenhauer's sagen, und ich meine, sie müsste eine tiefe
Furche einschneiden, allein wie sieht es bei uns aus? Wer wollte in dieser Confusion etwas
wahrsagen? ... Die sechs oder sieben aber, für welche Sie schreiben werden Sie haben und
ganz haben, und am Ende wird diese Minorität einmal auch etwas zu sagen haben."
Mit dieser Zukunftsprognose rekurriert Cosima Wagner auf eine Aussage in
dem Brief an Richard Wagner, den N. um den 10. Oktober 1874 konzipiert hat.
Hier kündigt er dem Komponisten die Zusendung von Schopenhauer als Erzie-
her an und erklärt: „Zuletzt kommt es mir ja allein auf 6-7 Leser an" (KSB 4,
Nr. 395, S. 265). Am 16. Januar 1875 schreibt Cosima Wagner in einem Brief an
N.: „Lenbach hat mir einen unglaublich schönen Schopenhauer gemalt; Ihre
ganze letzte Unzeitgemässe ist darin ausgesprochen; ein wundervoller Blick,
voll Klarheit, Schärfe, Sorge und Wehmuth" (KGB II 6/1, Nr. 625, S. 16).
N. berichtet Erwin Rohde am 15. November 1874: „Ich habe mit meiner
Nr. 3 in Bayreuth eine ganz unglaubliche Freude gemacht, und überhaupt
scheint es, dass sie mit gutem Sterne im Lande herumwandelt" (KSB 4, Nr. 403,
S. 275). Demselben Adressaten schreibt N. am 21. Dezember 1874, der Dichter
Theodor Opitz, „Übersetzer von Petöfi", habe ihm ein Gedicht „mit der Über-
schrift ,Schopenhauer als Erzieher"' geschickt (KSB 4, Nr. 410, S. 283). Das Ge-
dicht, das Opitz am 21. Dezember 1874 in seinem Brief an N. präsentiert, lautet
folgendermaßen (KGB II 4, Nr. 617, S. 639-640):
„,Schopenhauer als Erzieher'.
Dies Büchlein über Arthur Schopenhauer
Ergreift, wie allerbeste Poesie,
Die Seele mächtig, und ein Freudenschauer
Durchzuckt befreiend und erhebend sie.
Ein tapfres Büchlein ist's, voll Geist und Feuer,
Ja, eine Wetterthat der Leidenschaft:
Der Blitzstrahl flammt, es rollt der Donner neuer
Belebung stark mit reinigender Kraft.
mich das bis zu Thränen Ergreifende Ihrer Schrift, ist die Schilderung der drei Gefahren
in welche<n> der Genius schwebt [...], und wenn Sie behaupten an der deutschen Sprache
keine Freude zu haben, so bestraft Sie die Edle grossherzig, indem Sie Ihnen eine Persua-
sion und Eindringlichkeit verleiht, welche Ihnen keine andere Sprache auf diesem Gebiete
gewähren würde. [...] Heil Ihnen, mein Freund, dass Sie das innerste Wesen des Genius
so ergründen konnten, und aus dem Schacht der Erkenntniss den Hort an das Tageslicht
bringen [...]. Eine einzige Bezeichnung hätte ich anders gewünscht, ich hätte Trägheit
lieber als Faulheit gelesen [vgl. KSA 1, 337, 5], weil ich mit Faulheit den Begriff der Verwe-
sung [...] nicht den der Schwerfälligkeit verbinde [...], in keiner der vorangegangenen
Schriften, haben Sie, dünkt mich, Stoff und Form so vollkommen bemeistert, und in Folge
dessen wirkt Ihr Witz und Ihr Humor so frei und so erquickend hier. Auch diese Schrift ist
heiter wie Sie das vom Werke Schopenhauer's sagen, und ich meine, sie müsste eine tiefe
Furche einschneiden, allein wie sieht es bei uns aus? Wer wollte in dieser Confusion etwas
wahrsagen? ... Die sechs oder sieben aber, für welche Sie schreiben werden Sie haben und
ganz haben, und am Ende wird diese Minorität einmal auch etwas zu sagen haben."
Mit dieser Zukunftsprognose rekurriert Cosima Wagner auf eine Aussage in
dem Brief an Richard Wagner, den N. um den 10. Oktober 1874 konzipiert hat.
Hier kündigt er dem Komponisten die Zusendung von Schopenhauer als Erzie-
her an und erklärt: „Zuletzt kommt es mir ja allein auf 6-7 Leser an" (KSB 4,
Nr. 395, S. 265). Am 16. Januar 1875 schreibt Cosima Wagner in einem Brief an
N.: „Lenbach hat mir einen unglaublich schönen Schopenhauer gemalt; Ihre
ganze letzte Unzeitgemässe ist darin ausgesprochen; ein wundervoller Blick,
voll Klarheit, Schärfe, Sorge und Wehmuth" (KGB II 6/1, Nr. 625, S. 16).
N. berichtet Erwin Rohde am 15. November 1874: „Ich habe mit meiner
Nr. 3 in Bayreuth eine ganz unglaubliche Freude gemacht, und überhaupt
scheint es, dass sie mit gutem Sterne im Lande herumwandelt" (KSB 4, Nr. 403,
S. 275). Demselben Adressaten schreibt N. am 21. Dezember 1874, der Dichter
Theodor Opitz, „Übersetzer von Petöfi", habe ihm ein Gedicht „mit der Über-
schrift ,Schopenhauer als Erzieher"' geschickt (KSB 4, Nr. 410, S. 283). Das Ge-
dicht, das Opitz am 21. Dezember 1874 in seinem Brief an N. präsentiert, lautet
folgendermaßen (KGB II 4, Nr. 617, S. 639-640):
„,Schopenhauer als Erzieher'.
Dies Büchlein über Arthur Schopenhauer
Ergreift, wie allerbeste Poesie,
Die Seele mächtig, und ein Freudenschauer
Durchzuckt befreiend und erhebend sie.
Ein tapfres Büchlein ist's, voll Geist und Feuer,
Ja, eine Wetterthat der Leidenschaft:
Der Blitzstrahl flammt, es rollt der Donner neuer
Belebung stark mit reinigender Kraft.