52 Schopenhauer als Erzieher
Selbsterziehung eines großen Erziehers ist also dieses erstaunliche Buch. Daß
es darum nicht auch für andere, für uns, für jeden ernstlich ringenden Geist
von hohem erzieherischem Werte sein könne, wird niemand meinen, der weiß,
[...] daß das beste und ganz unerläßliche Mittel der Erziehung anderer die
Selbsterziehung ist" (ebd., 8).
Aus dem näheren Kontext dieser Aussagen geht hervor, dass Havenstein
N. sogar primär als „Erzieher" betrachtet: „in der Regel standen der Künstler
und der Denker Nietzsche im Dienste des Erziehers" (ebd., 7). Laut Havenstein
ist es „der Ethiker von Geblüt, der geborene Erzieher, der Menschenbildner von
Beruf, den die ,pädagogisch-anthropagogische Leidenschaft' treibt, zu der er
sich in einem Brief an Rohde bekennt" (ebd., 7). - Timo Hoyer charakterisiert
UB III SE als den „einzigen abgeschlossenen Text aus Nietzsches Hand, der
ohne Wenn und Aber das Prädikat ,pädagogisch' verdient" (Hoyer 2002, 264).
Laut Christian Niemeyer gilt UB III SE „in der pädagogischen Rezeption als
zentrale Abhandlung" (Niemeyer 2016, 94). N.s Aussagen über das „Geheim-
niss aller Bildung" als „Befreiung" und „Wegräumung alles Unkrauts, Schutt-
werks" sowie als „Ausströmung von Licht und Wärme", als „Nachahmung und
Anbetung der Natur" (vgl. 341, 6-13) seien „im Zuge der reformpädagogischen
Rezeption" oft „als Programmformel Nietzsches gelesen" worden (ebd., 105).
Durch das Postulat autonomer Selbstentfaltung des Menschen sei die Schrift
„gerade für die Pädagogik" von „erheblicher Bedeutung" (ebd., 110).
Im Essay Nietzsche's Philosophie im Lichte unserer Erfahrung von 1947 wür-
digt Thomas Mann die Unzeitgemässen Betrachtungen und damit auch
UB III SE mit der Feststellung, N. sei „vor allem ein großer Kritiker und Kultur-
Philosoph" gewesen, der seine spätere „Lehrbotschaft" auch in den Unzeitge-
mässen Betrachtungen „bereits vollkommen und fertig" präsentierte (Thomas
Mann 1990, Bd. IX, 682, 685). Laut Thomas Mann ist der „Kultur-Philosoph"
N. „ein aus der Schule Schopenhauers kommender europäischer Prosaist und
Essayist obersten Ranges" (ebd., 682), der in „der Nachfolge Schopenhauers
[...] blieb, auch als er den Meister längst verleugnet hatte" (ebd., 685). Wenn
Thomas Mann auf N.s Auffassung hinweist, das „Ziel der Menschheit" liege „in
ihren höchsten Exemplaren" (ebd., 690), dann zitiert er implizit eine Aussage
aus UB II HL (KSA 1, 317, 24-26), die N. wenig später in UB III SE paraphrasiert
(vgl. 383, 32 - 384, 34). Das Signum von N.s „Individualismus" erblickt Thomas
Mann in einem ästhetischen „Genie- und Heroenkult, den er von Schopenhau-
er übernommen hat" (Thomas Mann 1990, Bd. IX, 690), ebenso wie dessen
Konzept „des Heiligen" und das Ideal eines „heroische[n] Lebenslauf[s]" (ebd.,
693).
Damit rekurriert Thomas Mann auf die von N. in UB III SE (373, 4-15) mit
Trostfunktion zitierte Quintessenz von Schopenhauers pessimistischer Willens-
Selbsterziehung eines großen Erziehers ist also dieses erstaunliche Buch. Daß
es darum nicht auch für andere, für uns, für jeden ernstlich ringenden Geist
von hohem erzieherischem Werte sein könne, wird niemand meinen, der weiß,
[...] daß das beste und ganz unerläßliche Mittel der Erziehung anderer die
Selbsterziehung ist" (ebd., 8).
Aus dem näheren Kontext dieser Aussagen geht hervor, dass Havenstein
N. sogar primär als „Erzieher" betrachtet: „in der Regel standen der Künstler
und der Denker Nietzsche im Dienste des Erziehers" (ebd., 7). Laut Havenstein
ist es „der Ethiker von Geblüt, der geborene Erzieher, der Menschenbildner von
Beruf, den die ,pädagogisch-anthropagogische Leidenschaft' treibt, zu der er
sich in einem Brief an Rohde bekennt" (ebd., 7). - Timo Hoyer charakterisiert
UB III SE als den „einzigen abgeschlossenen Text aus Nietzsches Hand, der
ohne Wenn und Aber das Prädikat ,pädagogisch' verdient" (Hoyer 2002, 264).
Laut Christian Niemeyer gilt UB III SE „in der pädagogischen Rezeption als
zentrale Abhandlung" (Niemeyer 2016, 94). N.s Aussagen über das „Geheim-
niss aller Bildung" als „Befreiung" und „Wegräumung alles Unkrauts, Schutt-
werks" sowie als „Ausströmung von Licht und Wärme", als „Nachahmung und
Anbetung der Natur" (vgl. 341, 6-13) seien „im Zuge der reformpädagogischen
Rezeption" oft „als Programmformel Nietzsches gelesen" worden (ebd., 105).
Durch das Postulat autonomer Selbstentfaltung des Menschen sei die Schrift
„gerade für die Pädagogik" von „erheblicher Bedeutung" (ebd., 110).
Im Essay Nietzsche's Philosophie im Lichte unserer Erfahrung von 1947 wür-
digt Thomas Mann die Unzeitgemässen Betrachtungen und damit auch
UB III SE mit der Feststellung, N. sei „vor allem ein großer Kritiker und Kultur-
Philosoph" gewesen, der seine spätere „Lehrbotschaft" auch in den Unzeitge-
mässen Betrachtungen „bereits vollkommen und fertig" präsentierte (Thomas
Mann 1990, Bd. IX, 682, 685). Laut Thomas Mann ist der „Kultur-Philosoph"
N. „ein aus der Schule Schopenhauers kommender europäischer Prosaist und
Essayist obersten Ranges" (ebd., 682), der in „der Nachfolge Schopenhauers
[...] blieb, auch als er den Meister längst verleugnet hatte" (ebd., 685). Wenn
Thomas Mann auf N.s Auffassung hinweist, das „Ziel der Menschheit" liege „in
ihren höchsten Exemplaren" (ebd., 690), dann zitiert er implizit eine Aussage
aus UB II HL (KSA 1, 317, 24-26), die N. wenig später in UB III SE paraphrasiert
(vgl. 383, 32 - 384, 34). Das Signum von N.s „Individualismus" erblickt Thomas
Mann in einem ästhetischen „Genie- und Heroenkult, den er von Schopenhau-
er übernommen hat" (Thomas Mann 1990, Bd. IX, 690), ebenso wie dessen
Konzept „des Heiligen" und das Ideal eines „heroische[n] Lebenslauf[s]" (ebd.,
693).
Damit rekurriert Thomas Mann auf die von N. in UB III SE (373, 4-15) mit
Trostfunktion zitierte Quintessenz von Schopenhauers pessimistischer Willens-