Stellenkommentar
1.
337, 1-5 Jener Reisende, der viel Länder und Völker und mehrere Erdtheile ge-
sehn hatte und gefragt wurde, welche Eigenschaft der Menschen er überall wie-
dergefunden habe, sagte: sie haben einen Hang zur Faulheit.] In Schriften von
Pausanias, Cook, Alexander von Humboldt oder Forster lässt sich ein „Hang
zur Faulheit" nicht nachweisen, wohl aber bei Benj. Graf von Rumford [sc.
Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford]; vgl. Kleine Schriften politi-
schen, ökonomischen und philosophischen Inhalts (Bd. 1, 1797, 190). Hier heißt
es: „Im Menschen liegt, wie nicht zu leugnen ist, ein natürlicher Hang zur
Faulheit und Unthätigkeit". - Dass diese Auffassung im 19. Jahrhundert sehr
verbreitet war, zeigt beispielsweise auch Immanuel Kant's Menschenkunde oder
philosophische Anthropologie. Nach handschriftlichen Vorlesungen (1831, 51):
„Der fleißige Mann arbeitet hingegen langsam, aber beständig. Man muß
sagen, alle Menschen haben einen Hang zur Faulheit, nämlich erst unbe-
schreiblich viel zu arbeiten, um desto länger alsdann faul zu seyn. Hier ist die
Faulheit der Antrieb zur Arbeit, aber der wahrhaftig Fleißige vertheilet die Ar-
beit, und macht keine Zwischenräume von Unthätigkeit, wie der Faule".
Bekannter ist Kants Feststellung in der Schrift Idee zu einer allgemeinen
Geschichte in weltbürgerlicher Absicht von 1784: „Der Mensch hat eine Neigung
sich zu vergesellschaften: weil er in einem solchen Zustande sich mehr
als Mensch, d. i. die Entwickelung seiner Naturanlagen, fühlt. Er hat aber auch
einen großen Hang sich zu vereinzelnen (isoliren): weil er in sich zugleich
die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu
wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst
weiß, daß er seinerseits zum Widerstande gegen andere geneigt ist. Dieser Wi-
derstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin
bringt seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht,
Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu ver-
schaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen
kann" (AA 8, 20-21).
In seiner Schrift Was ist Aufklärung? von 1784 sieht Kant die „Unmündig-
keit" des Menschen wesentlich durch „Faulheit" bedingt, die mithin zu einem
fundamentalen Hindernis für die Aufklärung wird. Die menschliche „Faulheit"
macht Kant bereits im zweiten Absatz dieser Schrift zum Thema, und zwar
direkt im Anschluss an die berühmte Anfangspartie: „Aufklärung ist der
Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Un-
https://d0i.org/10.1515/9783110677966-002
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337, 1-5 Jener Reisende, der viel Länder und Völker und mehrere Erdtheile ge-
sehn hatte und gefragt wurde, welche Eigenschaft der Menschen er überall wie-
dergefunden habe, sagte: sie haben einen Hang zur Faulheit.] In Schriften von
Pausanias, Cook, Alexander von Humboldt oder Forster lässt sich ein „Hang
zur Faulheit" nicht nachweisen, wohl aber bei Benj. Graf von Rumford [sc.
Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford]; vgl. Kleine Schriften politi-
schen, ökonomischen und philosophischen Inhalts (Bd. 1, 1797, 190). Hier heißt
es: „Im Menschen liegt, wie nicht zu leugnen ist, ein natürlicher Hang zur
Faulheit und Unthätigkeit". - Dass diese Auffassung im 19. Jahrhundert sehr
verbreitet war, zeigt beispielsweise auch Immanuel Kant's Menschenkunde oder
philosophische Anthropologie. Nach handschriftlichen Vorlesungen (1831, 51):
„Der fleißige Mann arbeitet hingegen langsam, aber beständig. Man muß
sagen, alle Menschen haben einen Hang zur Faulheit, nämlich erst unbe-
schreiblich viel zu arbeiten, um desto länger alsdann faul zu seyn. Hier ist die
Faulheit der Antrieb zur Arbeit, aber der wahrhaftig Fleißige vertheilet die Ar-
beit, und macht keine Zwischenräume von Unthätigkeit, wie der Faule".
Bekannter ist Kants Feststellung in der Schrift Idee zu einer allgemeinen
Geschichte in weltbürgerlicher Absicht von 1784: „Der Mensch hat eine Neigung
sich zu vergesellschaften: weil er in einem solchen Zustande sich mehr
als Mensch, d. i. die Entwickelung seiner Naturanlagen, fühlt. Er hat aber auch
einen großen Hang sich zu vereinzelnen (isoliren): weil er in sich zugleich
die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten zu
wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst
weiß, daß er seinerseits zum Widerstande gegen andere geneigt ist. Dieser Wi-
derstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin
bringt seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht,
Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu ver-
schaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen
kann" (AA 8, 20-21).
In seiner Schrift Was ist Aufklärung? von 1784 sieht Kant die „Unmündig-
keit" des Menschen wesentlich durch „Faulheit" bedingt, die mithin zu einem
fundamentalen Hindernis für die Aufklärung wird. Die menschliche „Faulheit"
macht Kant bereits im zweiten Absatz dieser Schrift zum Thema, und zwar
direkt im Anschluss an die berühmte Anfangspartie: „Aufklärung ist der
Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Un-
https://d0i.org/10.1515/9783110677966-002