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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1,4): Kommentar zu Nietzsches "Unzeitgemässen Betrachtungen": III. Schopenhauer als Erzieher, IV. Richard Wagner in Bayreuth — Berlin, Boston: de Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69928#0088
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Stellenkommentar UB III SE 1, KSA 1, S. 339-340 61

men und Schiffbruch (KSA 3, 636, 16) erfordert Mut, Willensenergie und eine
kraftvolle Souveränität, die N. auch in der ersten Strophe seines Gedichts
„Nach neuen Meeren" zum Ausdruck bringt: „Dorthin - will ich; und ich
traue / Mir fortan und meinem Griff. / Offen liegt das Meer, in's Blaue / Treibt
mein Genueser Schiff" (KSA 3, 649, 1-9). Das Ethos individueller Selbstbestim-
mung verbindet diese lyrische Inszenierung der Seefahrt mit dem Eroberer-
Gestus seefahrender Abenteurer und mit N.s Postulat in UB III SE, die Men-
schen sollten „Steuermänner dieses Daseins" sein, statt sich gedankenlos der
Kontingenz zu überlassen. Zu N.s Experimental-Metaphorik vgl. Neymeyr
2014a, 232-254 und 2016b, 323-353.
340, 4-7 Zwar giebt es zahllose Pfade und Brücken und Halbgötter, die dich
durch den Fluss tragen wollen; aber nur um den Preis deiner selbst; du würdest
dich verpfänden und verlieren.] Dieser Passus spielt auf eine Episode im antiken
Herakles-Mythos an: Mit seiner Gattin Deianeira gelangt Herakles an den Fluss
Euenos, an dem Nessos, ein Kentaur, also ein halbtierischer Naturdämon mit
menschlichem Oberkörper und Pferdeleib, die vorüberkommenden Wanderer
überzusetzen pflegt. Während er Deianeira über den Fluss trägt, versucht er
sich an ihr zu vergreifen. Herakles, der den Fluss bereits durchquert hat, tötet
Nessos daraufhin mit einem Pfeil.
340, 9-11 Wer war es, der den Satz aussprach: „ein Mann erhebt sich niemals
höher, als wenn er nicht weiss, wohin sein Weg ihn noch führen kann"?] Dieses
Zitat von Oliver Cromwell stammt aus einer Emerson-Ausgabe, die N. in seiner
Bibliothek hatte: Ralph Waldo Emerson: Versuche, 1858, 237 (NPB 211-212). Von
N.s intensiver Beschäftigung mit diesem Werk zeugen zahlreiche Randnotizen,
Unterstreichungen und Randstriche (vgl. NPB 212), auch das von ihm vollstän-
dig mit Notizen ausgefüllte Titelblatt dieser Emerson-Edition (vgl. die Abbil-
dung: NPB 215). Die im vorliegenden Kontext von UB III SE zitierte Stelle aus
Emersons Essays hat N. mehrfach angestrichen (KSA 14, 75). Auch in einer spä-
teren Textpassage von UB III SE (426, 11-25) beruft er sich mit einem langen
wörtlichen Zitat auf Emerson. Und in einem nachgelassenen Notat erklärt N.
unter dem Titel „Emerson" emphatisch: „Ich habe mich nie in einem Buch so
zu Hause und in meinem Hause gefühlt als - ich darf es nicht loben, es steht
mir zu nahe" (NL 1881, 12 [68], KSA 9, 588).
340, 12-13 Wie kann sich der Mensch kennen?] Die Problematik der Selbster-
kenntnis reflektiert N. auch in seiner nachgelassenen Frühschrift Ueber Wahr-
heit und Lüge im aussermoralischen Sinne (KSA 1, 877, 2-15), in der er die rheto-
rische Frage formuliert: „Was weiss der Mensch eigentlich von sich selbst!"
(KSA 1, 877, 2-3).
 
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