64 Schopenhauer als Erzieher
Zwar ändert N. im Spätwerk seine Einstellung zu UB III SE fundamental,
wenn er in Ecce homo behauptet, hier komme „im Grunde nicht ,Schopenhauer
als Erzieher', sondern sein Gegensatz, ,Nietzsche als Erzieher', zu Worte"
(KSA 6, 320, 29-31). Aber eine Kontinuität zwischen Früh- und Spätwerk lässt
sich insofern feststellen, als N. auch in der Götzen-Dämmerung noch die Bedeu-
tung genuiner ,Erzieher' betont und eine kulturelle Krisensituation, ja einen
,Niedergang' gerade auf das Fehlen echter Erzieher zurückführt: „Dass Erzie-
hung, Bildung selbst Zweck ist [...], dass es zu diesem Zweck der Erzieher
bedarf - und nicht der Gymnasiallehrer und Universitäts-Gelehrten - man
vergass das ... Erzieher thun noth, die selbst erzogen sind, überlegene,
vornehme Geister, in jedem Augenblick bewiesen, durch Wort und Schweigen
bewiesen, reife, süss gewordene Culturen [...]. Die Erzieher fehlen, die Aus-
nahmen der Ausnahmen abgerechnet, die erste Vorbedingung der Erziehung:
daher der Niedergang der deutschen Cultur" (KSA 6, 107, 7-17). In diesem
Kontext substituiert N. die Perspektive auf ,Schopenhauer als Erzieher' durch
den Hinweis auf Burckhardt als Erzieher, indem er emphatisch erklärt: „Eine
jener allerseltensten Ausnahmen ist mein verehrungswürdiger Freund Jakob
Burckhardt in Basel: ihm zuerst verdankt Basel seinen Vorrang von Humanität"
(KSA 6, 107, 18-20). Die Fortsetzung dieser Überlegung in der Götzen-Dämme-
rung lässt zugleich erkennen, wie nachhaltig N.s kritisches Urteil auch jetzt
noch implizit durch die Polemik in Schopenhauers Schrift Ueber die Universi-
täts-Philosophie beeinflusst ist (vgl. dazu die zahlreichen Belegstellen in Kapi-
tel III.4 des Überblickskommentars). Denn N. schließt an Schopenhauers geis-
tesaristokratische Position und an sein Verdikt über die Universitätsgelehrten
an, indem er konstatiert, anstelle genuiner Bildung dominiere „eine brutale
Abrichtung, um, mit möglichst geringem Zeitverlust, eine Unzahl junger Män-
ner für den Staatsdienst nutzbar, ausnutzbar zu machen. ,Höhere Erzie-
hung' und Unzahl - das widerspricht sich von vornherein. Jede höhere Erzie-
hung gehört nur der Ausnahme" (KSA 6, 107, 21-26).
341, 9 Afterbild der Erziehung] In der Reinschrift, die als Vorlage für das Druck-
manuskript zu UB III SE fungierte, findet sich die folgende Variante: „Schatten-
und Afterbild der Bildung" (KSA 14, 75).
341, 13-15 sie [sc. die Erziehung] ist Nachahmung und Anbetung der Natur, wo
diese mütterlich und barmherzig gesinnt ist, sie ist Vollendung der Natur] Scho-
penhauer betont in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie die Bedeu-
tung der Erbanlagen für die Genese ,echter' Philosophen, indem er darauf in-
sistiert, „daß Alles darauf ankommt, wie Einer aus den Händen der Natur
hervorgegangen sei, welcher Vater ihn gezeugt und welche Mutter ihn empfan-
gen habe" (PP I, Hü 209). Dem von Schopenhauer behaupteten Primat der „an-
Zwar ändert N. im Spätwerk seine Einstellung zu UB III SE fundamental,
wenn er in Ecce homo behauptet, hier komme „im Grunde nicht ,Schopenhauer
als Erzieher', sondern sein Gegensatz, ,Nietzsche als Erzieher', zu Worte"
(KSA 6, 320, 29-31). Aber eine Kontinuität zwischen Früh- und Spätwerk lässt
sich insofern feststellen, als N. auch in der Götzen-Dämmerung noch die Bedeu-
tung genuiner ,Erzieher' betont und eine kulturelle Krisensituation, ja einen
,Niedergang' gerade auf das Fehlen echter Erzieher zurückführt: „Dass Erzie-
hung, Bildung selbst Zweck ist [...], dass es zu diesem Zweck der Erzieher
bedarf - und nicht der Gymnasiallehrer und Universitäts-Gelehrten - man
vergass das ... Erzieher thun noth, die selbst erzogen sind, überlegene,
vornehme Geister, in jedem Augenblick bewiesen, durch Wort und Schweigen
bewiesen, reife, süss gewordene Culturen [...]. Die Erzieher fehlen, die Aus-
nahmen der Ausnahmen abgerechnet, die erste Vorbedingung der Erziehung:
daher der Niedergang der deutschen Cultur" (KSA 6, 107, 7-17). In diesem
Kontext substituiert N. die Perspektive auf ,Schopenhauer als Erzieher' durch
den Hinweis auf Burckhardt als Erzieher, indem er emphatisch erklärt: „Eine
jener allerseltensten Ausnahmen ist mein verehrungswürdiger Freund Jakob
Burckhardt in Basel: ihm zuerst verdankt Basel seinen Vorrang von Humanität"
(KSA 6, 107, 18-20). Die Fortsetzung dieser Überlegung in der Götzen-Dämme-
rung lässt zugleich erkennen, wie nachhaltig N.s kritisches Urteil auch jetzt
noch implizit durch die Polemik in Schopenhauers Schrift Ueber die Universi-
täts-Philosophie beeinflusst ist (vgl. dazu die zahlreichen Belegstellen in Kapi-
tel III.4 des Überblickskommentars). Denn N. schließt an Schopenhauers geis-
tesaristokratische Position und an sein Verdikt über die Universitätsgelehrten
an, indem er konstatiert, anstelle genuiner Bildung dominiere „eine brutale
Abrichtung, um, mit möglichst geringem Zeitverlust, eine Unzahl junger Män-
ner für den Staatsdienst nutzbar, ausnutzbar zu machen. ,Höhere Erzie-
hung' und Unzahl - das widerspricht sich von vornherein. Jede höhere Erzie-
hung gehört nur der Ausnahme" (KSA 6, 107, 21-26).
341, 9 Afterbild der Erziehung] In der Reinschrift, die als Vorlage für das Druck-
manuskript zu UB III SE fungierte, findet sich die folgende Variante: „Schatten-
und Afterbild der Bildung" (KSA 14, 75).
341, 13-15 sie [sc. die Erziehung] ist Nachahmung und Anbetung der Natur, wo
diese mütterlich und barmherzig gesinnt ist, sie ist Vollendung der Natur] Scho-
penhauer betont in seiner Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie die Bedeu-
tung der Erbanlagen für die Genese ,echter' Philosophen, indem er darauf in-
sistiert, „daß Alles darauf ankommt, wie Einer aus den Händen der Natur
hervorgegangen sei, welcher Vater ihn gezeugt und welche Mutter ihn empfan-
gen habe" (PP I, Hü 209). Dem von Schopenhauer behaupteten Primat der „an-