Stellenkommentar UB III SE 2, KSA 1, S. 346 79
Kap. 23, § 272, Hü 532). Laut Schopenhauer gilt dies für literarische und philo-
sophische Autoren gleichermaßen. Im Kapitel 21 „Ueber Gelehrsamkeit und
Gelehrte" der Parerga und Paralipomena II schreibt Schopenhauer über die
Illusion, „das so große Gedränge von Schülern und Meistern" signalisiere,
„daß es dem Menschengeschlechte gar sehr um Einsicht und Wahrheit zu
thun sei"; seines Erachtens „trügt der Schein. Jene lehren, um Geld zu verdie-
nen und streben nicht nach Weisheit, sondern nach dem Schein und Kredit
derselben: und Diese lernen nicht, um Kenntniß und Einsicht zu erlangen,
sondern um schwätzen zu können und sich ein Ansehn zu geben" (PP II,
Kap. 21, § 244, Hü 509).
Den Begriff der ,Rhetorik', die Techniken zur elaborierten und überzeugen-
den Formulierung von Erkenntnissen, Ansichten und Appellen bereitstellt, ver-
wendet N. im vorliegenden Kontext pejorativ, wenn er von den „künstlichen
Mitteln der Rhetorik" spricht. Denn er sieht mit der Rhetorik auch die Gefahr
verbunden, dass ihre Praktiken in den Dienst einer suggestiven oder sogar
demagogischen Beeinflussung der Adressaten gestellt werden. Demgegenüber
erblickt N. das spezifische Charakteristikum von Schopenhauers Schreibweise
gerade darin, dass er „das Tiefsinnige einfach, das Ergreifende ohne Rhetorik"
zu sagen vermag (347, 31-32). Dabei folgt N. dem Stilideal Schopenhauers (vgl.
dazu NK 347, 31-32).
Im Kontext dieser Aussage erklärt Schopenhauer, „jeder Mediokre" suche
„seinen, ihm eigenen und natürlichen Stil zu maskiren. Dies nöthigt ihn zu-
nächst, auf alle Naivetät zu verzichten; wodurch diese das Vorrecht der über-
legenen und sich selbst fühlenden, daher mit Sicherheit auftretenden Geister
bleibt. Jene Alltagsköpfe nämlich können schlechterdings sich nicht entschlie-
ßen, zu schreiben, wie sie denken; weil ihnen ahndet, daß alsdann das Ding
ein gar einfältiges Ansehn erhalten könnte" (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 548). Und
in der Welt als Wille und Vorstellung I erklärt Schopenhauer: So „wird jeder
schöne und gedankenreiche Geist sich immer auf die natürlichste, unumwun-
denste, einfachste Weise ausdrücken, [...] umgekehrt nun aber wird Geistesar-
muth, Verworrenheit, Verschrobenheit sich in die gesuchtesten Ausdrücke und
dunkelsten Redensarten kleiden, um so in schwierige und pomphafte Phrasen
kleine, winzige, nüchterne, oder alltägliche Gedanken zu verhüllen" (WWV I,
§ 47, Hü 270-271). Vgl. auch die Belege in NK 347, 31-32.
Obwohl N. im vorliegenden Kontext deutliche Vorbehalte gegenüber der
Rhetorik zum Ausdruck bringt, kultiviert er beim Schreiben selbst einen rheto-
risch geprägten Stil. Nachdem seine Tragödienschrift in der altphilologischen
Fachwelt sehr kritisch rezipiert worden war, versuchte N. fortan mithilfe rheto-
rischer Stilisierung besondere Publikumswirksamkeit zu erlangen und studier-
te zu diesem Zweck sowohl traditionelle Rhetoriken (Aristoteles, Cicero, Quinti-
Kap. 23, § 272, Hü 532). Laut Schopenhauer gilt dies für literarische und philo-
sophische Autoren gleichermaßen. Im Kapitel 21 „Ueber Gelehrsamkeit und
Gelehrte" der Parerga und Paralipomena II schreibt Schopenhauer über die
Illusion, „das so große Gedränge von Schülern und Meistern" signalisiere,
„daß es dem Menschengeschlechte gar sehr um Einsicht und Wahrheit zu
thun sei"; seines Erachtens „trügt der Schein. Jene lehren, um Geld zu verdie-
nen und streben nicht nach Weisheit, sondern nach dem Schein und Kredit
derselben: und Diese lernen nicht, um Kenntniß und Einsicht zu erlangen,
sondern um schwätzen zu können und sich ein Ansehn zu geben" (PP II,
Kap. 21, § 244, Hü 509).
Den Begriff der ,Rhetorik', die Techniken zur elaborierten und überzeugen-
den Formulierung von Erkenntnissen, Ansichten und Appellen bereitstellt, ver-
wendet N. im vorliegenden Kontext pejorativ, wenn er von den „künstlichen
Mitteln der Rhetorik" spricht. Denn er sieht mit der Rhetorik auch die Gefahr
verbunden, dass ihre Praktiken in den Dienst einer suggestiven oder sogar
demagogischen Beeinflussung der Adressaten gestellt werden. Demgegenüber
erblickt N. das spezifische Charakteristikum von Schopenhauers Schreibweise
gerade darin, dass er „das Tiefsinnige einfach, das Ergreifende ohne Rhetorik"
zu sagen vermag (347, 31-32). Dabei folgt N. dem Stilideal Schopenhauers (vgl.
dazu NK 347, 31-32).
Im Kontext dieser Aussage erklärt Schopenhauer, „jeder Mediokre" suche
„seinen, ihm eigenen und natürlichen Stil zu maskiren. Dies nöthigt ihn zu-
nächst, auf alle Naivetät zu verzichten; wodurch diese das Vorrecht der über-
legenen und sich selbst fühlenden, daher mit Sicherheit auftretenden Geister
bleibt. Jene Alltagsköpfe nämlich können schlechterdings sich nicht entschlie-
ßen, zu schreiben, wie sie denken; weil ihnen ahndet, daß alsdann das Ding
ein gar einfältiges Ansehn erhalten könnte" (PP II, Kap. 23, § 283, Hü 548). Und
in der Welt als Wille und Vorstellung I erklärt Schopenhauer: So „wird jeder
schöne und gedankenreiche Geist sich immer auf die natürlichste, unumwun-
denste, einfachste Weise ausdrücken, [...] umgekehrt nun aber wird Geistesar-
muth, Verworrenheit, Verschrobenheit sich in die gesuchtesten Ausdrücke und
dunkelsten Redensarten kleiden, um so in schwierige und pomphafte Phrasen
kleine, winzige, nüchterne, oder alltägliche Gedanken zu verhüllen" (WWV I,
§ 47, Hü 270-271). Vgl. auch die Belege in NK 347, 31-32.
Obwohl N. im vorliegenden Kontext deutliche Vorbehalte gegenüber der
Rhetorik zum Ausdruck bringt, kultiviert er beim Schreiben selbst einen rheto-
risch geprägten Stil. Nachdem seine Tragödienschrift in der altphilologischen
Fachwelt sehr kritisch rezipiert worden war, versuchte N. fortan mithilfe rheto-
rischer Stilisierung besondere Publikumswirksamkeit zu erlangen und studier-
te zu diesem Zweck sowohl traditionelle Rhetoriken (Aristoteles, Cicero, Quinti-